Brief an Nina Chuba – Warum Unsicherheit völlig okay ist (und bleibt)

Ein persönlicher Brief an Nina Chuba – über ihren Song „Unsicher“, über Fragen, Zweifel und das große Abenteuer, das wir Leben nennen. Inklusive Rilke, Rückblick und ein paar Wahrheiten, die man mit Mitte 40 endlich ein kleines bißchen entspannter sehen darf.

Illustration zum Blogartikel „Brief an Nina Chuba“ über Unsicherheit, Lebensfragen und persönliche Entwicklung

Brief an Nina Chuba: Unsicher? Na und?!

Liebe Nina,

ich habe deinen wunderschönen Song „Unsicher“ gehört. Und weißt du was? Ich hätte dich am liebsten in den Arm genommen. So richtig. Still. Warm. Mit einem kleinen „Ach Schätzelein“ auf den Lippen.

Denn ich kenne das. Dieses Gefühl. Dieses Fragen. Diese leise Panik, ob man überhaupt irgendwas richtig macht. Ich bin über zwanzig Jahre älter als du – und weißt du, was sich geändert hat? Öhm. Nichts.
Oder sagen wir: Nicht das Wesentliche.

Klingt das jetzt doof? Nein. Denn dass alles unsicher bleibt, ist ein Geschenk. Stell dir doch nur mal vor, alles wäre safe und vorhersehbar und immer gleich - das wäre die Nulllinie - oder im Klinikalltag genau diese Linie auf dem Monitor, die zeigt, da ist kein Leben mehr. Tod.

Wir brauchen die Linien, die Auf und Abs. Wir brauchen diese Achterbahn. Das ist das Leben. Enjoy the ride.

Die Fragen bleiben. Die Zweifel auch. Nur der Umgang damit verändert sich. Irgendwann fängst du an, mit deinen Unsicherheiten Tee zu trinken, statt vor ihnen wegzurennen. Du richtest ihnen ein Gästezimmer ein. Und manchmal, da kommen sie mitten in der Nacht und wollen reden. Du hörst zu. Und schläfst dann trotzdem weiter.

Denn – und das ist die große, herrliche Ironie des Lebens – die Unsicherheit geht nie ganz weg. Im Gegenteil - ich sag nur “Altern” - welcome to my world - weißt du, wie unsicher wir alten Hasen und Häsinnen jetzt sind? Aber: Diese Unsicherheit, sie wird weicher. Leiser. Manchmal sogar komisch.

Ich hätte das früher gern gewusst.

Ich hätte gern gewusst, dass man sich nicht verlaufen kann, wenn man ehrlich geht. Dass es kein „fertig“ gibt – nur viele schöne, schräge Zwischenstände. Dass das Leben kein Ziel ist, sondern ein verdammtes Abenteuer. Und dass niemand wirklich weiß, was er da eigentlich tut – auch wenn sie sich noch so sicher geben. Wirklich niemand hat jemals je seinen Shit together, nicht die toughesten, lautesten, erfolgreichsten, schönsten.

Es gibt eine Zeile von Rainer Maria Rilke, die mich seit Jahren begleitet. Er schrieb sie (in seinem weltweit bekannten Buch “Briefe an einen jungen Dichter”) an einen jungen Dichter – vor über 100 Jahren. Und trotzdem ist sie heute aktueller denn je:

„Du musst die Fragen selbst lieben. Wie verschlossene Stuben, wie Bücher in einer fremden Sprache. [...] Lebe jetzt die Fragen. Vielleicht lebst du dann eines fernen Tages, ohne es zu merken, in die Antwort hinein.“

Dieser junge, verzweifelte Dichter, Franz Kappus, stellte die großen Fragen an das Leben und die Liebe schon vor über 100 Jahren, genauso wie du heute. Die Unsicherheiten sind generationenüberdauernd und bleiben die selben. Und genau das verbindet uns. Ich finde das wunderschön. Und tröstlich. Und wahr. Und: Sich verbunden zu fühlen macht übrigens weniger unsicher.

Liebe Nina, du bist auf einem Weg. Vielleicht fühlt er sich manchmal wackelig an – aber er gehört dir. Du wirst dir begegnen. Wieder und wieder. In neuen Versionen. Und irgendwann wirst du zurückblicken und denken: „Ach, guck. Ich war gar nicht so verloren, wie ich dachte. Ich war einfach unterwegs.“

Also: bleib unsicher. Bleib neugierig. Stell weiter Fragen. Mach Musik. Mach Fehler. Mach dein Ding. Verlieb dich. Verlier dich. Finde dich wieder. Und lass dich lieben und halten. Lass dich brechen und dann heilst du wieder zusammen. Das Leben, das ist Kintsugi. Diese alte japanische Kunst, in der man zerbrochene Tassen wieder mit Goldkleber kittet. Die Risse sind sichtbar. Die Risse erzählen eine Geschichte. Die Risse machen die Tasse kostbarer als zuvor. Nichts wird weggeschmissen. Es wird repariert und geheilt. Und genau darauf ist man stolz. Unendlich stolz. Nicht auf die perfekte Tasse. Sondern auf die Tasse mit goldenen Rissen.

Fette Umarmung,
Henriette

P.S.: Den ganzen Rest, den ich gern mit Mitte 20 gewusst hätte, findest du übrigens hier: Was ich gern mit Mitte 20 gewusst hätte. Spoiler: Es geht nicht um Steuererklärungen. Sondern um das große Game. Neue Level. Rosen. Den Engegner. Und ganz viel Glaube, Liebe, Hoffnung. Denn Life is Life, nanananana.

Ach ja, und hier noch eine Art Speech/Poetry Slam: Da bin ich gerade 40 geworden - und hab´mir die selben Fragen gestellt …

 


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Über die Autorin:

Henriette Frädrich ist Keynote-Speakerin, Moderatorin, Creative Mind, Entdeckerin, Ausprobiererin, Herausfinderin und Storytelling-Profi. Ihr Background: Gründerin, Unternehmerin, Journalistin und Autorin. Mit Energie, Humor und Tiefgang nimmt sie ihre Zuhörer:innen mit auf eine Reise durch Themen, die bewegen: von Veränderung und Resilienz über Motivation, Innovation und künstliche Intelligenz bis hin zu Kommunikation und Leadership.

Ihre Mission? Komplexes einfach machen, Köpfe öffnen und Herzen berühren. Ob auf großen Bühnen oder in interaktiven Workshops – sie kombiniert fundiertes Wissen mit emotionalem Storytelling und schafft so nachhaltige Aha-Momente. Ihre Vorträge sind mitreißende Erlebnisse, die inspirieren und Mut machen, den nächsten Schritt zu gehen.


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