Was ist eigentlich ... Stress? – Eine Reise in die Tiefen unseres Getriebenseins

Stress – dieses Wort prallt wie ein Gummiball von Wänden aus Terminen, Verpflichtungen und unerledigten To-do-Listen ab. Jede:r kennt ihn, jede:r hat ihn, niemand liebt ihn, und doch scheint er ein treuer Begleiter unserer modernen Existenz zu sein. Daher die Frage: Gab es Stress eigentlich schon immer? Oder ist er eine exklusive Errungenschaft der Neuzeit, eingeführt etwa zur gleichen Zeit wie der achtspurige Berufsverkehr und der 24/7-Erreichbarkeit?

Woher kommt der Begriff „Stress“?

Das Wort „Stress“ stammt ursprünglich aus der Physik – ja, genau, aus der Ecke mit Newton, Hebelgesetz und Dingen, die fallen, wenn man sie loslässt. Dort beschreibt es die Spannung oder den Druck, der auf ein Material wirkt. Wie passend. Erst in den 1930er-Jahren wurde es von dem Mediziner Hans Selye in die Psychologie überführt und zur Bezeichnung jener Belastungen, die Menschen sowohl körperlich als auch seelisch aus dem Gleichgewicht bringen.

Hatten Menschen schon immer Stress?

Nun ja, unsere Vorfahren hatten es mit hungrigen Säbelzahntigern und frostigen Wintern ganz sicher nicht gemütlich und die werden sich auch nicht durch Steinzeit, römische Reiche und Pyramidenbau gechillt haben. Aber ihr Stress war ein anderer – er war kurz, heftig und vor allem: sinnvoll und smart. Wann immer Gefahr drohte, wurde ihr Körper in Alarmbereitschaft versetzt, Adrenalin strömte durch die Adern, Muskeln spannten sich an – entweder zum Kämpfen oder zum Davonrennen. Problem gelöst, Überlebenschance erhöht.

Heute dagegen sitzen wir im Büro, mit zu viel Koffein im Blut, fünfzig unbeantworteten E-Mails und emotional triggerndem Infomüll in unseren Timelines, während unser Gehirn uns dieselbe Kampf-oder-Flucht-Reaktion vorgaukelt. Dumm nur, dass unser:e Chef:in keine allzu große Freude daran hätte, wenn wir vor der nächsten Deadline einfach schreiend davonrennen.

Ist Stress gut oder schlecht?

Stress ist nicht per se böse. Es gibt guten Stress – den, der uns antreibt, uns herausfordert und unser Hirn auf Hochtouren bringt. Stichwort: Eustress. Das ist der Adrenalinschub, den man spürt, wenn man eine spannende Präsentation hält, einen sportlichen Wettkampf bestreitet oder sich kopfüber in ein neues, cooles, aufregendes Abenteuer stürzt.

Und dann gibt es den anderen Stress. Den miesen. Den, der uns nachts wachhält, uns Magenschmerzen beschert und unser Herz im ungesunden Galopp schlagen lässt. Distress – das kleine Monster, das sich langsam in unser System frisst und dort leise, aber stetig Chaos anrichtet und dafür sorgt, dass es uns immer schlechter geht, wir keine Energie mehr haben. Hallo Burnout.

Wie sieht guter Stress aus?

Guter Stress ist wie ein:e motivierende:r Trainer:in, der/die uns antreibt, unser Bestes zu geben. Zum Beispiel:

  • Vorfreude: Die Aufregung kurz vor einem großen Auftritt, wenn das Lampenfieber sich in Begeisterung verwandelt und dann so richtig ins System rein kickt.

  • Flow-Zustand: Das Gefühl, völlig in einer Aufgabe aufzugehen, weil sie spannend, herausfordernd, aber machbar ist. Und wir uns darin total verlieren. Glückselig und zufrieden. Und alles um uns herum vergessen.

  • Herausforderungen: Ein neuer Job, ein kreatives Projekt, ein sportliches Ziel – wenn sie als machbare Herausforderung statt als Bedrohung wahrgenommen werden.

Und was macht schlechter Stress mit uns?

Schlechter Stress fühlt sich an wie ein zu eng geschnürter Schuh, den man nicht ausziehen kann. Er lähmt, macht müde, reizbar, ausgelaugt. Er raubt Energie statt zu beflügeln.

Beispiele für toxischen Stress?

  • Dauerbelastung: Ständiger Termindruck, Multitasking, nie endende Erwartungen.

  • Dauerlärm: Zu viel von allem. Zu laut. Zu viel Medien. Zu viel Social Media. Zu viele (oft irrelevante) Infos, die unser System nicht verarbeiten und einordnen und ablegen kann.

  • Kontrollverlust: Das Gefühl, keine Macht über die eigene Situation zu haben – ob im Job oder im Privaten.

  • Sozialer Stress: Konflikte, Mobbing, ungelöste Probleme in Beziehungen.

Stress ist wie eine Hydra

Je mehr wir versuchen, ihn wegzumanagen – mit noch mehr To-do-Listen, noch besserem Zeitmanagement, noch mehr Selbstoptimierung – desto mehr neue Stressquellen ploppen auf. Der siebenköpfigen Hydra einen Kopf abschlagen zu wollen sorgt nur dafür, dass zwei neue Köpfe nachwachsen. Sie ist nicht zu bändigen.

Vielleicht liegt die Lösung also gar nicht im Bekämpfen, sondern im Umlenken der Energie. Stress wird nicht weniger, indem wir ihn auf eine To-do-Liste schreiben und das Stressmanagement zu einem weiteren Task machen, der uns auch wieder nur stresst. Sondern indem wir ihn als Signal verstehen: Wo brennt’s? Was ist zu viel? Und vor allem: Muss ich das wirklich alles so machen?

Haben Tiere auch Stress?

Aber klar. Wer mal eine Katze oder einen Hund beim Tierarzt gesehen hat, weiß, dass Stress auch auf vier Pfoten existiert. Tiere erleben Stress, wenn sie Gefahr wittern oder sich bedroht fühlen. Der Unterschied? Sie schütteln ihn ab. Wörtlich. Viele Tiere zittern oder rennen nach einer Bedrohung, um das Adrenalin abzubauen. Menschen dagegen? Wir sitzen einfach weiter am Schreibtisch und starren wie Vollhonks in den Bildschirm. Kein Wunder, dass Stress immer mehr wird und sich so lange in uns anstaut, bis alle Dämme brechen - und wir zusammenbrechen. Und dann ist es zu spät.

Was macht Stress mit uns als Gesellschaft und in Unternehmen?

Stress ist ein Gesellschaftsphänomen. Unternehmen, die ständige Erreichbarkeit verlangen, Perfektionismus glorifizieren und Wettbewerb anheizen, produzieren gestresste, ausgebrannte Mitarbeiter:innen. Die Folge? Krankenstände steigen, Kreativität sinkt, Innovationskraft leidet. Eine Gesellschaft, die Stress als Statussymbol feiert („Boah, ich hab ja SOOOOOO viel zu tun!“), verlernt, einfach mal zu sein.

Wie können wir Stress reduzieren?

Gegenmaßnahmen? Viele, aber hier die besten:

  • Priorisieren statt Perfektionieren: Nicht alles ist gleich wichtig. Wer alles machen will, macht nichts richtig.

  • Entschleunigung zulassen: Müßiggang ist kein Laster, sondern überlebensnotwendig.

  • Bewegung & Natur: Spazieren gehen, in die Natur eintauchen, atmen.

  • Lachen und Spielen: Stress kann sich nicht halten, wo echte Freude ist.

  • Grenzen setzen: Nicht alles sofort beantworten, nicht jede Aufgabe annehmen.

Weitere Ideen und zum Weiterlesen:

Stress ist da. Aber wie wir ihn nutzen, ist unsere Wahl.

Stress ist weder gut noch böse. Er ist Energie. Und Energie kann man lenken. Vielleicht also nicht die Hydra bekämpfen, sondern sie tanzen lassen. Und vielleicht legt sie dann irgendwann einfach den Kopf auf die Seite und schnurrt.


Über die Autorin:

Henriette Frädrich ist Keynote-Speakerin, Moderatorin und Storytelling-Profi. Mit Energie, Humor und Tiefgang nimmt sie ihre Zuhörer:innen mit auf eine Reise durch Themen, die bewegen: von Veränderung und Resilienz über Motivation, Innovation und künstliche Intelligenz bis hin zu Kommunikation und Leadership.

Ihre Mission? Komplexes einfach machen, Köpfe öffnen und Herzen berühren. Ob auf großen Bühnen oder in interaktiven Workshops – sie kombiniert fundiertes Wissen mit emotionalem Storytelling und schafft so nachhaltige Aha-Momente. Ihre Vorträge sind mitreißende Erlebnisse, die inspirieren und Mut machen, den nächsten Schritt zu gehen.

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