Im Grunde gut – oder im Grunde bescheuert?

Was ist der Mensch – ein hoffnungsvolles Wesen im Kern oder kollektiv im Katastrophenmodus? Und wie retten wir unsere Menschlichkeit inmitten von Wahnsinn, Wut und Weltüberforderung? Über unser Menschenbild, Weltlage, toxische Entwicklungen und die Frage: Wie retten wir unsere Menschlichkeit in einer bescheuerten verrückten Zeit?

Abstrakte Darstellung eines gespaltenen Gesichts – eine Seite wütend und dämonisch in Rot, die andere friedlich und freundlich in Blau mit Olivenzweig – Symbol für das zerrissene Menschenbild zwischen Gut und Böse.

Zwischen Menschlichkeit und Wahnsinn: Spannungsfeld zwischen Hoffnung und Hass, Güte und Gewalt

Ich war mal ein Fan. Ein richtiger Fan. So einer mit Herzchen in den Augen und einem innerlichen „JA!“ nach jedem zweiten Absatz. Ich rede von „Im Grunde gut“, dem Bestseller von dem niederländischen Historiker Rutger Bregman. Ein Hoffnungsschimmer in Zeiten von Dauerkrise und politischem Irrsinn. Die These? Der Mensch ist im Kern – trotz allem – gut. Ein friedensstiftendes Menschenbild. Eine Einladung zum Vertrauen. Eine Idee, die unser gesellschaftliches Miteinander revolutionieren könnte. Der Gedanke, dass der Mensch – entgegen aller Zyniker und Tagesschau-Schlagzeilen – im Grunde gut ist, gibt Kraft, Hoffnung und ein Weltbild, das sich nicht so verdammt schwer anfühlt.

Doch wenn ich heute auf die Welt schaue, frage ich mich: War das idealistisch? Oder einfach nur naiv? War das eine süße Phase – oder einfach eine realitätsferne Sehnsucht?

Denn was wir gerade sehen und erleben, ist weniger „im Grunde gut“ und mehr „im Grunde lost“.
Trump kommt zurück, als hätte er nie aufgehört. Putin ist da, Xi ist da, TikTok regiert das Denken von Teenies, Elon Musk regiert sich selbst – und Tech-Oligarchen mit Messias-Komplex basteln an einer Zukunft, die nach Dystopie riecht, bevor sie überhaupt programmiert wurde. Wahlen kippen nach rechts, Angst frisst Hirn, Messerattacken werden zur Schlagzeilenroutine, während sich ganze Gesellschaften in Kommentarspalten zerfleischen. Und dazwischen? Kriege. Klimakrise. Wiedererstarkende toxische Männlichkeit. Populismus. Depressionen. Social Media als Endgegner unserer psychischen Gesundheit. Erschöpfung. Sinnkrisen im Abo.

Wir sind eine Gesellschaft, die scheinbar kollektiv in die Depression und den kompletten Irrsinn taumelt. Sind wir wirklich im Grunde gut? Oder sind wir im Grunde einfach nur komplett bescheuert?

Zwischen Hoffnung und Hyperrealität

Denn es ist ja nicht so, dass wir dumm wären. Der Mensch ist intelligent. Wir können so viel! Wir bauen KI, die Shakespeare imitiert. Wir schicken Teleskope ins All und Kameras in den Darm. Wir programmieren Maschinen, die Krebs erkennen, bevor der Arzt es tut.

Und gleichzeitig lassen wir uns von TikTok, Fake News und Filterblasen völlig verblöden. Wir lassen wir uns von Algorithmen radikalisieren, von Angst lenken und von toxischer Männlichkeit einlullen, als wären wir in der Steinzeit. Wir züchten Hightech – und verlieren den menschlichen Kompass.

Wir wissen alles – aber fühlen nichts mehr.

Was stimmt nicht mit uns? Oder: Was haben wir vergessen? Vielleicht ist das die eigentliche Gretchenfrage unserer Zeit. Nicht: Wie wird alles besser? Sondern: Wollen wir überhaupt, dass es besser wird – oder suhlen wir uns längst genüsslich im kollektiven Katastrophenmodus?

Die Tools hätten wir. Die Daten. Die Technologien. Die Erkenntnisse. Die Bücherregale sind voll mit Antworten. Die Podcasts voller kluger Stimmen.

Aber es scheint, als würden wir lieber auf TikTok scrollen, als uns selbst zu stellen. Lieber empören als verstehen. Lieber löschen und canceln als zuhören. Lieber „Gegner“ als Gesprächspartner.

Vielleicht ist das unser größtes Paradox und unser größtes Problem: Der Mensch ist klug – aber nutzt seine Klugheit zu selten fürs Gute.

Unser Menschenbild formt unsere Realität

Wer davon ausgeht, dass der Mensch böse ist, behandelt ihn auch so. Misstrauisch. Kontrollierend. Kühl. Gemein. Ungerecht. Dominierend. Beherrschend.

Wer aber glaubt, dass der Mensch im Grunde gut ist, gibt Vertrauen. Und genau das verändert das Miteinander. Im Alltag. In der Führung. In der Gesellschaft. Wo Vertrauen ist, ist Miteinander. Wo Vertrauen ist, ist Güte. Da ist Wärme. Da ist Zusammenhalt. Da ist Verständnis. Da ist Empathie. Und wo Vertrauen ist, hat all das Gift (siehe oben) keine Chance.

Aber Vertrauen braucht Mut. Mut zur Güte. Gerade jetzt, wo alles zynisch wird. Gerade jetzt, wo „Fortschritt“ oft wie Rückschritt wirkt. Gerade jetzt, wo es so leicht ist, die Hoffnung zu verlieren – und so schwer, sie zu behalten.

Was können wir tun?

Wir müssen raus aus dem Empörungsmodus. Raus aus der Algorithmus-Falle. Raus aus der Schockstarre der Krisen.

Und wieder rein in die Verantwortung. In den Dialog. In die Frage: Was für eine Zukunft wollen wir wirklich? Denn wir als Menschen sind nicht einfach gut oder schlecht. Wir sind gestaltbar. Lernfähig. Werdend. Und damit – verdammt nochmal – auch verantwortlich.

Die Antwort muss auch gar keine große Revolution sein. Vielleicht ist sie sogar ziemlich klein. Nämlich eine Entscheidung. Jeden Tag neu. Die Entscheidung, dem Guten im Anderen eine Chance zu geben. Nicht naiv. Sondern mutig. Die Entscheidung, nicht jeden Mist mitzumachen. Nicht jeden Klick zu klicken. Nicht jedes Gefühl von Ohnmacht direkt in Zynismus zu verwandeln.

Wir brauchen Mut zur Güte, nicht trotz der Weltlage – sondern gerade wegen ihr. Wir brauchen Menschen, die nicht schreien, sondern zuhören. Die sich nicht instrumentalisieren lassen – von Angst, Algorithmen oder Autokraten. Wir brauchen Fragen wie: Was, wenn wir nicht auf den nächsten Feind warten, sondern auf die nächste Lösung? Was, wenn die Mehrheit tatsächlich keine Idioten sind – sondern einfach nur erschöpft? Was, wenn Güte nicht das Gegenteil von Stärke ist, sondern ihre Superpower?

Das klingt vielleicht ein wenig pathetisch. Vielleicht sogar auch ein bisschen bescheuert. Aber wenn alles gerade ein bisschen bescheuert ist, warum dann nicht auf die beste, menschlichste Art?

Im Grunde verantwortlich

Schluss mit dem „Im-Grunde-Bashing”. Wir brauchen eine neue Haltung. Eine, die den Zweifel mitträgt, aber nicht darin untergeht. Eine Haltung, die sagt: Ja, wir sind überfordert. Aber auch: Ja, wir können das alles besser. Wir können reflektieren, gestalten, retten – uns selbst und vielleicht auch noch den Rest.

Was wäre, wenn wir den Menschen wieder als Verbündeten sähen – nicht als Gegner? Was wäre, wenn Güte, Klarheit und Mut zu den wichtigsten Skills der Zukunft würden? Und was wäre, wenn Hoffnung keine Schwäche, sondern unsere schärfste Waffe wäre?

Im Grunde gut? Vielleicht. Im Grunde überfordert? Sicher. Aber im Grunde entscheidungsfähig? Auf jeden Fall. Im Grunde – ganz tief drin – glaube ich immer noch an das Gute. Aber nur, wenn wir aufhören, darauf zu warten, dass es jemand anders macht.

Themen: Menschenbild, Gut und Böse, Menschlichkeit, gesellschaftlicher Konflikt, gespaltene Persönlichkeit, Hoffnung und Hass, modernes Menschenbild, psychologische Zerrissenheit, Im Grunde gut, Rutger Bregman, toxische Männlichkeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Zukunft, Hoffnung, digitale Gesellschaft, Social Media Wahnsinn, Rechtsruck, Depressionen, Zivilgesellschaft, kollektive Erschöpfung, Tech-Oligarchen, politischer Rechtsruck, Veränderung, Verantwortung, Krisen, Zusammenhalt, KI, digitale Transformation, Menschheitsfragen, Mut zur Güte


Über die Autorin:

Henriette Frädrich ist Keynote-Speakerin, Moderatorin, Creative Mind, Entdeckerin, Ausprobiererin, Herausfinderin und Storytelling-Profi. Ihr Background: Gründerin, Unternehmerin, Journalistin und Autorin. Mit Energie, Humor und Tiefgang nimmt sie ihre Zuhörer:innen mit auf eine Reise durch Themen, die bewegen: von Veränderung und Resilienz über Motivation, Innovation und künstliche Intelligenz bis hin zu Kommunikation und Leadership.

Ihre Mission? Komplexes einfach machen, Köpfe öffnen und Herzen berühren. Ob auf großen Bühnen oder in interaktiven Workshops – sie kombiniert fundiertes Wissen mit emotionalem Storytelling und schafft so nachhaltige Aha-Momente. Ihre Vorträge sind mitreißende Erlebnisse, die inspirieren und Mut machen, den nächsten Schritt zu gehen.


Mehr zum Thema “Das Leben und seine Herausforderungen”


The H-Files: Hirnfutter für Offene, Mutige und Neugierige
Essays. Perspektiven. Denkstoff. Inspirationen. Shift-Papers.


Zuletzt unterwegs bei

Zurück
Zurück

Leadership im Wandel – Stabil führen, wenn alles in Bewegung ist

Weiter
Weiter

Von SEO zu KIO, von SEA zu KIA – Wenn Künstliche Intelligenz die Spielregeln neu schreibt