Eine meiner schönsten und liebsten Kindheitserinnerungen: In unserer Familie wird seit fast 40 Jahren ein ganz besonderes Geheimnis gehütet: Das Ostergeheimnis.
An den Osterhasen glaubte ich sehr lange. Vor allem weil mir die Vorstellung von so einem putzigen Osterhäschen mit Eierkorb in den Pfoten schon immer viel sympathischer war als die eines alten, knurrigen Weihnachtsmannes. Als ich ungefähr sieben Jahre alt, und eigentlich schon nicht mehr an die Sache mit Weihnachtsmann und Osterhase glaubte, vollbrachten meine Eltern ein kleines Wunder, das bis heute unaufgeklärt ist – und an das ich bis heute mit einem Lächeln und mit Staunen zurück denke.
Ostersonntag. Meine Eltern und ich machten einen Ausflug in die sächsische Schweiz, noch zu DDR-Zeiten. Der Frühling kitzelte schon alles wach. Es war herrlichstes Wetter, und es war klar, dass wir den schönen Tag für eine Wanderung nutzen werden. Die Begeisterung hielt sich bei mir in Grenzen, Kinder hassen Wandern per se. Dennoch fügte ich mich meinem Schicksal, als Siebenjährige hat man eben auch nicht so viel zu melden. Meine Eltern stellten zudem in Aussicht, dass, wenn wir von der Tour zurück kommen würden, vielleicht der Osterhase da war. Die Nummer mit dem Osterhasen zog bei mir natürlich nicht mehr, trotzdem machte ich das Spiel mit und freute mich auf mein Osternest mit Schokolade und Eiern, das ich also später von meinen Eltern bekommen würde.
Wir packten unsere Rucksäcke, ein bisschen Proviant rein, dann stiefelten wir los. Zu meiner eigenen Überraschung machte mir die Wanderung wirklich Spaß, es war herrlichstes Frühlingswetter, die Sonne glitzerte, das Grün leuchtete, es war tolle Luft, kleine Bäche und Brücken machten den Weg spannend, meine Eltern hatten unsäglich gute Laune, wir quatschten und alberten viel herum. Es war richtig schön. One of these moments.
Nachdem wir schon ein gutes Stück geschafft hatten und gut zwei Stunden unterwegs waren, machten wir auf einer großen, grünen Wiese Picknick und ruhten uns aus. Meine Mutter und ich alberten ein wenig herum, mein Vater verschwand kurz hinter einem Baum und machte sein kleines Geschäft. Als er wieder kam, sagte er ganz verdutzt zu mir:
„Ähm, Henriette, also, ich glaube, der Osterhase war hier!“
Ich schaute ihn ungläubig an: „Haha, Papa, sehr witzig! Veräppeln kann ich mich selbst!“
„Doch! Schau mal, da hinten, da blitzt doch was aus dem Gras, oder?“, mein Vater zeigte auf etwas Buntes, das tatsächlich ein Stückchen weiter zwischen dem Gras hervor lugte.
„Häh? Was ist das denn?“, stammelte ich völlig perplex.
„Ja geh doch mal gucken!“ sagte meine Mama lachend.
Zögernd stand ich auf und ging langsam auf das bunte Etwas zu. Und tatsächlich: Es war ein Osternest! Mitten auf einer Wiese in der sächsischen Schweiz, die wir noch nie zuvor gesehen hatten, auf der wir spontan picknickten, und die etliche Kilometer von unserem Zuhause entfernt war, wartete ein Osternest auf mich! Ich hob es auf und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Häh?! Wie geht das denn?“, fragte ich meine Eltern.
Die kicherten und lachten. „Na, das war der Osterhase, was denn sonst!“ sagte mein Vater lachend.
„Aber den gibt´s doch gar nicht!“, gab ich skeptisch zurück.
„Also wenn das nicht der Osterhase war, wer war das denn dann sonst?“ fragte meine Mutter schmunzelnd.
„Na, ihr?“ sagte ich.
„Wir?!“ sagte mein Vater und tat entrüstet, „wie soll das denn gehen? Wir sind doch auch hierher gekommen, zusammen mit dir. Und hast du gesehen, wie wir hier irgendetwas versteckt haben?“
Mein Vater hatte Recht. Es war unmöglich. Ich war die ganze Zeit mit meiner Mutter zusammen auf der Wiese, und mein Vater war nur kurz hinterm Baum. Er hatte keine Tasche dabei, wo vielleicht die Osternester drin waren, und ich sah ihn auch nicht über die Wiese huschen. Oder hatte ich es tatsächlich nicht bemerkt? Oder hatten sie vielleicht einen Komplizen? Ich war völlig von den Socken.
„Henriette, akzeptiere es doch endlich! Es war der Osterhase!“ rief mein Vater.
„Und guck doch mal weiter, der hat bestimmt noch mehr hier versteckt!“ schob meine Mutter hinterher.
Ich rannte über die Wiese und guckte hinter jeden Busch und Baum. Und tatsächlich fand ich noch etliche Osternester und Schoko-Hasen, über die ganze Wiese verteilt, in kleinen Grasmulden versteckt. Ich war völlig aus dem Häuschen. Ich freute mich nicht nur über die vielen Geschenke, sondern war auch richtig überrascht, hier mitten in den Bergen dem Osterhasen auf so mysteriöse Art und Weise begegnet zu sein. Wobei ich ihn ja nicht gesehen habe. Aber so sehr ich auch grübelte, ich kam auf keine schlüssige Lösung, wie meine Eltern diesen Coup hätten einfädeln und durchführen können. Es blieb nichts anderes übrig, als all das tatsächlich dem Osterhasen zuzuschreiben.
Natürlich gängele ich meine Eltern seitdem immer wieder, bis heute, sie mögen mir doch nun bitte endlich das Ostergeheimnis verraten. Doch immer wieder ernte ich verständnislose Blicke und als einzige Antwort:
„Was willst du denn aufklären oder was sollen wir dir denn verraten? Das war der Osterhase!“.
Bis heute hält sich das Geheimnis um den magischen Ostersonntag, damals, in der sächsischen Schweiz. Und es ist mit eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, will ich die Wahrheit bzw. „the Trick“ auch gar nicht erfahren. Was gibt es schöneres als die Erinnerung an diesen Osternachmittag im warmen, sonnigen Frühling und der Glaube daran, dass ein kleines Häschen über die Wiese gehoppelt ist und meine Osternester versteckt hat. Nur für mich.