Dinge, die halten

Eine kleine Liebeserklärung an das Beständige: Von alten Porzellantassen über bretonische Shirts bis zu DDR-Boxen. Über Qualität, Beziehung, Treue und Genügsamkeit.

Dinge, die halten

Es gibt sie noch. Dinge, die bleiben. Die sich nicht ablösen, verziehen, auseinanderfallen oder sich selbst überholen. Dinge, die nicht schreien: „Schau, ich bin neu! Ich bin besser! Ich bin jetzt!“ – sondern still da sind. Leise Zeugen der Zeit. Unaufgeregte Begleiter eines Lebens. Dinge, die halten.

Ich trinke seit Jahrzehnten aus einer Tasse, die aussieht, als käme sie aus einem Kinderbuch der 50er Jahre. Sie stammt aus der Werkstatt von Hedwig Bollhagen, der Keramik-Design-Ikone der DDR, ist aus Keramik, hat vorne drauf ein blasses Mäusemotiv – und ein paar herausgebröckelte Stellen am Rand. Wahrscheinlich hat sie schon mehr Stürze überlebt als ich emotionale Abstürze. Ich habe sie seit meiner Kindheit. Und ich ich habe vor einigen Jahren von meiner Schwester neue süße HB-Kindertassen mit Entenmotiv und Sonne-Sterne-Mond-Motiv geschenkt bekommen. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Und doch, ich liebe meine Original-Mäusetasse. Sie gehört zu mir wie mein rechter Daumen. Und jedes Mal, wenn ich sie in der Hand halte, ist es ein kleines „Ich bin noch da“. Und ich war da, damals. Und der Kakao und die Milch hat nie so gut geschmeckt wie aus dieser Tasse. Diese Tasse trägt historische Umbrüche in sich. Den Zusammenbruch der DDR (ich bin als Kind in der DDR aufgewachsen). Umzüge. Zig Liebeskummer. Hochzeit. Scheidung. Mama-Werden. Auf und Abs. Die Mäuse waren Zeugen. Immer.

Ich besitze ein blau-weiß-gestreiftes Shirt von “Armor Lux” – ein Klassiker aus der Bretagne. 16 Jahre habe ich es. Und das Teil sieht aus, als hätte ich es erst gestern gekauft. Keine gelben Spuren, kein verzogenes Bündchen, kein Fleck, kein Ausleiern. Ich frage mich regelmäßig: Wie geht das? Ist es Magie? Oder einfach nur – allerbeste Qualität? Nein. Es ist mehr.

Mein Vater trägt T-Shirts, die älter sind als so mancher Influencer auf Instagram. Ich habe ihn früher dafür ausgelacht, es war mir auch peinlich, wenn er mit seinen alten Shirts und der 40 Jahre alten Wollmütze ankam. Heute sehe ich das anders. Er hat meinen größten Respekt. Er hat Boxen aus DDR-Zeiten, die heute noch die Luft zum Vibrieren bringen - damals hart erspart und hart ergattert. Und heute immer noch in Betrieb. Während wir uns alle zwei Jahre ein neues iPhone aufschwatzen lassen. Mein Vater hat Möbel, die nicht Designobjekte sein wollen – sondern einfach nur Möbel. Alte Holzschränke, dunkelbraune Buffets, die von Generation zu Generation weiter gegeben werden. Einen DDR-Design-Klassiker, den Steckstern aus Glas - das UBM-Regal der DDR. Alles Nutzdinge, ohne Geltungsdrang.

Mein Vater lebt einen Minimalismus, der nie einer war – weil er keiner sein musste. Sondern einfach eine Haltung. Eine Haltung zum Leben. Zum Haben. Zum Brauchen. Zum Genug. Zum Solangedaseinbiseswirklichnichtmehrgeht.

Er sagt Sätze wie: „Was soll ich mit zehn Hosen – ich kann doch eh immer nur eine anziehen.” oder “Besitz besitzt immer auch dich.” Und ich denke: Ja. Genau das. Was wollen wir eigentlich mit all unserem Zeug? Warum wollen oder müssen wir uns täglich neu und anders inszenieren?

Es geht bei den Dingen, die halten, nicht nur um Qualität. Es geht um eine andere Art des Sehens. Eine andere Form des Besitzens. Nicht haben um zu zeigen, sondern haben um zu behalten. Nicht Konsum, sondern Beziehung. Nicht Neu, sondern Treu.

Dinge, die halten, sind Dinge, die mit uns leben – nicht gegen uns. Sie haben Gebrauchsspuren. Seelenfalten. Erinnerungen eingewoben in Porzellan, Stoff, Holz oder Glas. Sie erzählen Geschichten, ohne ein Wort zu sagen. Und vielleicht ist es das, was sie so wertvoll macht: Sie reden nicht dauernd über sich selbst. Sie sind einfach da.

In einer Welt, die sich ständig neu erfindet, ist das eine stille, kostbare Rebellion. Ein Nein zur Wegwerfmentalität. Ein Ja zum Dableiben.

Und vielleicht – nur vielleicht – erinnern sie uns daran, dass auch wir nicht ständig besser, schneller, neu sein müssen. Sondern einfach nur: da sein. Beständig. Verlässlich. Mit kleinen Bruchstellen. Und einem Mäusemotiv.

Themen: In diesem Beitrag geht es um Dinge, die lange halten – um langlebige Kleidung, zeitloses Design, Qualität statt Quantität, bewussten Konsum, persönliche Alltagsgegenstände mit Geschichte, alte Dinge mit Bedeutung, langlebige Produkte, Erinnerungskultur, nachhaltigen Minimalismus, emotionale Gegenstände, Lieblingsstücke, Gebrauchsgegenstände mit Seele, Porzellantassen mit Geschichte, DDR-Design, Kleidung, die ewig hält, slow living, Dinge, die bleiben, Dinge mit Patina, persönliche Rituale im Alltag, Beständigkeit im schnellen Leben und die Schönheit des Einfachen.


Über die Autorin:

Henriette Frädrich ist Keynote-Speakerin, Moderatorin, Creative Mind, Entdeckerin, Ausprobiererin, Herausfinderin und Storytelling-Profi. Ihr Background: Gründerin, Unternehmerin, Journalistin und Autorin. Mit Energie, Humor und Tiefgang nimmt sie ihre Zuhörer:innen mit auf eine Reise durch Themen, die bewegen: von Veränderung und Resilienz über Motivation, Innovation und künstliche Intelligenz bis hin zu Kommunikation und Leadership.

Ihre Mission? Komplexes einfach machen, Köpfe öffnen und Herzen berühren. Ob auf großen Bühnen oder in interaktiven Workshops – sie kombiniert fundiertes Wissen mit emotionalem Storytelling und schafft so nachhaltige Aha-Momente. Ihre Vorträge sind mitreißende Erlebnisse, die inspirieren und Mut machen, den nächsten Schritt zu gehen.


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