Henriette Frädrich

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Schönheit ist existenziell: Menschen brauchen Harmonie, Ästhetik und Ruhe

Steile These und gewagte Vermutung: Gibt es eventuell einen Zusammenhang, dass unsere Welt immer "blöder" wird, die Menschen immer gestresster und unsolidarischer, es viel mehr Gegeneinander und zu wenig Miteinander gibt, weil unsere Lebensräume, zum Beispiel Städte, einfach nicht mehr „schön“ sind, sondern heruntergekommen, dreckig, hässlich, zu eng, zu laut, mit viel zu viel Verkehr und Lärm? Brauchen wir Harmonie, Ästhetik, Ruhe und Schönheit, um wirklich gut zu leben und auch gut miteinander auszukommen?


Vor ca. zwei Jahren bin ich vom trubeligen Kölner belgischen Viertel ins beschauliche Kölner Müngersdorf gezogen. Das belgische Viertel ist mitten-inne-City, Müngersdorf hingegen im ruhigen Kölner Westen, kein ab-vom-schussiger-Vorort, sondern bestens angebundener Stadtrandteil, grün, ruhig, sauber, (für Kölner Verhältnisse) hübsch, niedlich.

Unabhängig davon, dass ich nach 13 Jahren im belgischen Viertel dringend eine Veränderung brauchte, unabhängig davon, dass der Wohnraumveränderung auch eine Scheidung und damit auch einiges an lifeshaking Trouble und Gedöns vorausging, spürte ich, angekommen in meiner neuen Wohnung und meiner neuen Hood eine interessante Veränderung in mir. Ich war auf einmal … entspannt. Ich fühlte mich … so … unerklärlich … wohl. Ich spürte so einen inneren Frieden. Es war wie ein Aufatmen und Aufmachen.  Mir ging es … unerklärlich … gut.

Jedesmal, wenn ich seitdem nach meinem Umzug - vor allem aus Patchwork-Family-Orga-Schichtwechsel-Übergabe-Gründen - wieder „in die Stadt“ musste, beobachtete ich ein weiteres interessantes Phänomen: Ich bekam automatisch schlechte Laune, war angespannt, nervös, gereizt, wurde latent pissig, aggressiv und abgefucked. Völlig grundlos. Ich musste mir sehr viel Mühe geben, nicht rumzupöbeln und mich anderen gegenüber so zu verhalten, wie ich mich gerade fühlte. Wenn alles „in der Stadt“ erledigt war, war mein einziges Bedürfnis, bloß so schnell wie möglich wieder da raus und weg zu kommen. Raus ins Grüne, raus ins Ruhige, raus ins Schöne.


War und bin ich wirklich schon so alt geworden? Senile Stadtflucht? Ich beobachtete diese Wechselbäder der Gefühlszustände noch eine Weile und stellte dann verblüfft fest: Darling, it´s the environment, it´s the Umfeld!

Ach Köln … II Foto: privat

Dass Köln nicht gerade zu den Schönheiten deutschen Städtebaus gehört, ist allgemein bekannt. Bekannt sind auch die Ursache und die Gründe dafür. Zerstörung im Krieg, schneller unkoordinierter Wiederaufbau, Prachtalleen und Prachtstraßen sind verschwunden, statt dessen funktionale und hässliche Betonklötze. Alles irgendwie mehr schlecht als recht zusammen gezimmert, aus der Not heraus, ja, haben wir Verständnis für. Dennoch macht der Mangel an Schönheit und Ästhetik was mit einem. Noch viel mehr aber macht das Zuviel an Dreck, die vielen Glasscherben auf den Straßen, der Müll überall, die tausenden Baustellen, der Dauerlärm, das Zuviel an Verkehr, die zu vielen Autos, das zu wenig an Grün, und im Sommer die sengende Hitze was mit einem. Es sorgt genau für den schon oben beschriebenen Cocktail aus giftigen Gefühlen. Und giftige Gefühle sorgen für giftiges Verhalten. Und giftiges Verhalten sorgt für giftiges Miteinander. Und giftiges Miteinander sorgt für noch giftigere Gefühle. Et voilà, ein giftiger never ending viciuos circle, aus dem wir nicht mehr raus kommen und alles immer schlimmer wird.

Und dann wundern wir uns, warum wir Menschen immer feindseliger werden?


Früher war alles besser. Zumindest der Städtebau.

Dann fiel mir ein, dass ich irgendwann mal, ich weiß nicht mehr wo genau, einen Artikel darüber gelesen hatte, dass Städte früher, also so ganz früher, so gestaltet wurden, dass sie "schön" sein mussten. Also Schönheit im Sinne von, dass Gebäude schön und spektakulär sein mussten. Dass Städte so gestaltet waren, dass die Bürger:innen sich dort wohl fühlten. Dass es Plätze und Parks gab, wo sich die Menschen begegnen und austauschen konnten.

Viele Städte in Italien und anderen Teilen Europas wurden tatsächlich mit einem starken Fokus auf Ästhetik und Lebensqualität gestaltet. Diese Städte wurden oft nach bestimmten städtebaulichen Prinzipien geplant, die eine angenehme Umgebung für ihre Bewohner:innen schaffen sollten. Weil man wusste, wie enorm wichtig eine schöne Umgebung für die Lebensqualität und ja, irgendwie auch der Würde, der Bürger:innen ist. Diese Zeit war geprägt von einem tiefen Verständnis für Ästhetik, welches nicht nur die Architektur der Gebäude, sondern auch die Planung der städtischen Umgebung umfasste.

Städte wie Florenz, Rom und Venedig sind hervorragende Beispiele für diese Art von durchdachter und ästhetisch orientierter Stadtplanung. Ein berühmtes Beispiel ist das italienische Florenz, welches in der Renaissancezeit eine bedeutende Rolle spielte. Unter der Herrschaft der Medici-Familie und unter der Leitung von Architekten wie Filippo Brunelleschi und Leon Battista Alberti wurden viele Gebäude und Plätze in Florenz geschaffen oder umgestaltet, um Schönheit und Harmonie zu betonen. Die berühmte Piazza della Signoria und der Palazzo Pitti sind nur zwei Beispiele für die sorgfältige Planung und Gestaltung, die darauf abzielten, einen angenehmen, schönen, harmonischen und ästhetischen Lebensraum zu schaffen. In Florenz zum Beispiel förderten die Medici als Mäzene der Künste und Wissenschaften die künstlerische Gestaltung der Stadt. Sie beauftragten Künstler und Architekten wie Michelangelo und Brunelleschi, die durch ihre Werke nicht nur die Stadt verschönerten, sondern auch öffentliche Räume schufen, die die soziale Interaktion und das Wohlbefinden der Bürger förderten.

Ähnliche Prinzipien wurden auch in anderen europäischen Städten angewendet, insbesondere während der Renaissance- und Barockzeit. Städte wie Rom, Venedig, Paris und Wien wurden in vielerlei Hinsicht so gestaltet, um Schönheit zu betonen und den Bedürfnissen ihrer Bewohner:innen gerecht zu werden, ob durch die Anlage von Parks und Gärten, die Schaffung von beeindruckenden „Prachtbauten“ oder die Gestaltung von öffentlichen Plätzen, die als Treffpunkt und soziale Zentren fungierten.

In Rom war die Planung oft darauf ausgerichtet, beeindruckende visuelle Achsen zu schaffen, die auf wichtige Gebäude oder Plätze zulaufen, wie beispielsweise die Sichtachsen, die auf den Petersdom oder andere wichtige Monumente führen. Diese Achsen und die Gestaltung der öffentlichen Plätze verbesserten nicht nur die Orientierung in der Stadt, sondern steigerten auch die städtische Pracht.

Venedig wiederum nutzte seine einzigartige Lage und das System der Kanäle, um eine Stadt zu schaffen, die sowohl funktional als auch ästhetisch ansprechend war. Die Platzierung von wichtigen Gebäuden entlang des Canal Grande und die Anordnung der Plätze und Brücken förderten sowohl die ökonomische Aktivität als auch soziale Zusammenkünfte.

Diese Städte zeigen, wie durchdachte Architektur und Stadtplanung dazu beitragen können, die Lebensqualität der Bewohner:innen zu erhöhen und gleichzeitig eine Kultur der Schönheit und des sozialen Austauschs zu fördern. Die Gestaltung dieser Städte mit Blick auf Schönheit und Gemeinschaft war kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung, die bis heute das Leben und die Kultur in diesen Räumen prägt.


Kultur, Schönheit, Harmonie, Ästhetik, Ruhe, Sauberkeit braucht der Mensch genauso nötig und dringend wie Nahrung. All das IST Nahrung.

Riesige imposante Prachtbauten wurden auch deshalb gebaut, um an heißen Tagen die Bewohner:innen vor Sonne zu schützen und für kühlenden Schatten zu sorgen. Auch das ein Faktor, der in den letzten Jahrzehnten der modernen Architektur kaum noch Berücksichtigung fand. Die riesigen von innen klimatisierten Beton- und Glaskästen in den modernen Zentren dieser Welt befeuern die Hitze in den Städten. Und Hitze befeuert und aggressiviert die Gemüter. Das wird noch ein riesiges und auch katastrophales Problem für uns alle werden.

„Wenn wir über "schön" und "hässlich", "gut" und "schlecht" sprechen, so muss vorausgeschickt werden: Die Ethik in der Architektur und im Städtebau, also die normative Vorstellung von einer guten und richtigen Architektur, einer Architektur, die auf Gewohnheiten und Bräuchen beruht, haben wir spätestens mit der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgegeben. Zuvor galt über weite Perioden der europäischen Architekturgeschichte, dass ein Gebäude nur gut sein konnte, wenn es auch schön war. Firmitas (Festigkeit), utilitas (Nützlichkeit) und venustas (Schönheit) sind die Grundbegriffe des römischen Architekten und Architekturtheoretikers Vitruv, dessen Werk ("De architectura libri decem") im gesamten Mittelalter bekannt war und das seit der Renaissance und bis zur Moderne nahezu alle architekturtheoretischen Überlegungen maßgeblich beeinflusste. Festigkeit, Nützlichkeit und Schönheit waren in dieser Zeit die grundlegenden Maßstäbe für die Bewertung von Architektur, und sie mussten alle drei gleichermaßen erfüllt sein.

Darauf verzichten wir heute, wenn es darum geht, unsere Städte zu planen, weil wir meinen, die sinnliche Wahrnehmung von Schönheit oder Harmonie sei eine derart subjektive und rein individuelle Empfindung, dass wir sie besser ignorieren und erst recht nicht verallgemeinern sollten. Doch es gibt Hoffnung: Tatsächlich "besteht im Hinblick auf ihr Schönheitsempfinden zwischen den Angehörigen verschiedener Bevölkerungsgruppen ein hohes Maß an Übereinstimmung“, schreibt Nicole Küster in ihrer Dissertation "Schönheit und der Wert von Immobilien". Sie belegt durch handfeste Zahlen aus einer breit angelegten Befragung, dass Schönheit eben nicht so sehr im Auge des einzelnen Betrachters liegt, wie uns Planer und Architekten weismachen wollen.

Die Zerstörung der Schönheit der Stadt ist auch das Ergebnis unserer aufwändigen und bürokratischen Stadtplanungspolitik, die durch die Trennung der Planungsdisziplinen und ihrer isolierten Vermittlung an unseren Universitäten geprägt ist. Diese Trennung der Fachdisziplinen, die sich in den 1970er Jahren vollzogen hat, entspricht der Aufsplitterung der Planungsprozesse in zweidimensionale Funktionspläne, isolierte Fachplanungen und eine auf sich selbst bezogene Architektur. Obwohl die Planungssysteme noch nie so ausgefeilt waren wie heute, ist gleichzeitig noch nie so wenig städtebauliche Qualität entstanden. Heute planen die Hauptverantwortlichen zumeist aneinander vorbei.

Während sich die Architektur auf das Kunstschaffen konzentriert und den gesellschaftlichen Auftrag, Bauwerke zu errichten, mit vermeintlichen Kunstwerken beantwortet, trennte sich der Planer in den 1970er Jahren von der Aufgabe, den städtischen Raum als ästhetisch bewertbare Größe zu formulieren. Der Baukörper Stadt war nicht mehr länger Gegenstand der Stadt- und Raumplanung, sondern wurde durch eine soziale, ökologische und organisatorische Strukturplanung ersetzt. Auch entstanden von den Architekturfakultäten getrennte Raumplanungsfakultäten, deren Name von der Notwendigkeit (Stadt-)Raum zu planen, meilenweit entfernt ist. An diesen Fakultäten wird den Studierenden bis heute Stadtplanung ohne die Fächer Architektur und Baugeschichte gelehrt! Wie aber kann man in unseren Stadtplanungsämtern Wohnquartiere planen, ohne zu wissen, wie der Grundriss eines Wohnhauses funktioniert?

Heute plant also niemand den konkreten Stadtraum. Deshalb entstehen tagtäglich in unseren Städten ungestaltete Stadträume, Häuser ohne Adresse und ohne anschauliche Straßenfassade, Resträume, die weder privat noch öffentlich sind, Verkehrsschneisen und Abstellplätze für Müllcontainer an jeder Straßenecke.”

Quelle: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/260069/ueber-die-aesthetik-der-staedte-essay/

Osaka, Japan II Foto: privat

Kyoto, Arashiyama, Japan II Foto: privat


Wird die Welt, werden wir Menschen, immer „blöder“, weil alles um uns herum immer hässlicher wird?

Steile These und gewagte Vermutung: Gibt es eventuell einen Zusammenhang, dass unsere Welt immer "blöder" wird, die Menschen immer gestresster und unsolidarischer, es viel mehr Gegeneinander und zu wenig Miteinander gibt, weil unsere Lebensräume, zum Beispiel Städte, einfach nicht mehr „schön“ sind, sondern heruntergekommen, dreckig, hässlich, zu eng, zu laut, mit viel zu viel Verkehr und Lärm? Brauchen wir Harmonie, Ästhetik, Ruhe und Schönheit, um wirklich gut zu leben und auch gut miteinander auszukommen? Wäre es möglich, dass die Gestaltung unserer Lebensräume einen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen hat?

Lebensräume, die als schön, harmonisch, ruhig und funktional wahrgenommen werden, können dazu beitragen, Stress zu reduzieren und ein Gefühl des Wohlbefindens zu fördern. Wie weiter oben schon kurz aufgeführt, wurden historisch gesehen viele Städte und Gemeinden so gestaltet, dass sie ästhetisch ansprechend und funktional waren, mit öffentlichen Plätzen, weitläufigen Parks und gut geplanten Straßen und Gehwegen, die vor allem auch das Gemeinschaftsleben förderten. Heute schotten wir uns ja mehr und mehr voneinander ab. Am liebsten in riesigen SUVs. Auch das ein Teufelskreis. Wir schotten uns voneinander ab, in viel zu großen und viel zu vielen Autos, auf viel zu engen und die Verkehrskapazitäten nicht mehr fassenden Strassen, weil wir all dem Stress, dem Dreck, dem Lärm, der Disharmonie und der unterschwelligen Aggressivät entkommen wollen. Und tragen durch unsere Flucht und unser Abschotten genau dazu bei.

Fakt ist: Heruntergekommene, überfüllte und laute Umgebungen verursachen Stress und beeinträchtigen das Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität. Wenn die Lebensräume vernachlässigt werden und die Umgebung als unattraktiv, gar hässlich und verkommen, empfunden wird, kann dies zu einer geringeren Lebensqualität und damit auch einem Rückgang des sozialen Zusammenhalts führen.

Die These, dass die ästhetische Gestaltung von Lebensräumen wie Städten einen wesentlichen Einfluss auf das Wohlbefinden und die sozialen Beziehungen der Menschen hat, findet in verschiedenen Disziplinen wie der Psychologie, Soziologie und Stadtplanung Unterstützung. Die Idee, dass Schönheit, Harmonie und Ordnung essentiell für unser psychisches und soziales Wohlbefinden sind, lässt sich durch zahlreiche Studien und Theorien untermauern.

Es gibt wohl in der Tat zahlreiche Studien, die darauf hindeuten, dass die Qualität der gebauten Umwelt einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Menschen hat.


Psychologische Wirkung von Schönheit und Ordnung:
Die Umgebungspsychologie zeigt, dass Menschen auf ihre Umgebung emotional reagieren. Schöne, gepflegte Umgebungen können das Wohlbefinden steigern, Stress reduzieren und helfen, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln. Unordentliche, chaotische oder heruntergekommene Umgebungen hingegen können Stress, Unbehagen und sogar depressive Gefühle verstärken. Hierzu gibt es auch u.a. die berühmte „Broken Window Theory“, die auch Malcolm Gladwell in seinem Buch „Tipping Point aufführt“. Kurz zusammen gefasst: Wenn wir in einer verdreckten Straße unterwegs sind, sind wir eher geneigt, unseren Müll ebenfalls einfach irgendwohin zu schmeißen. Weil es ist uns dann völlig egal. Wenn wir hingegen in einer sauberen Umgebung leben, halten wir diese auch sauber, ganz bewusst. Heißt, wenn sich nicht gekümmert wird, kümmern wir uns auch nicht. Wenn sich gekümmert wird, kümmern wir uns auch und fühlen uns verantwortlich. Die Bemühungen von Städten, sich auch um die heruntergekommensten, vermeintlich hoffnungslosesten Gegegenden zu kümmern, sie sauber und gepflegt zu halten, sind also absolut sinnvoll. Vor allem auch weil es die Bewohner:innen (wieder) dazu ermutigt, sich selbst zu kümmern. Gleiches zieht Gleiches an. So könnte man es auch ausdrücken.

Bekannt ist z.B. auch, dass so auch Kriminalitätsraten rapide sinken. Ich war erst vor kurzem in Japan. Japan gehört zu den Ländern mit der niedrigsten Kriminalitätsrate. Und Japan ist beeindruckend sauber und aufgeräumt. Harmonie, Freundlichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme sind dort an der Tagesordnung und liegen, so wage ich zu behaupten, auch in den japanischen Genen. Da besteht mit Sicherheit ein Zusammenhang.


Soziale Interaktionen und öffentlicher Raum:

Architektur und Stadtplanung beeinflussen, wie Menschen interagieren. Punkt. Öffentliche Plätze, die einladend und angenehm gestaltet sind, fördern Begegnungen und Interaktionen zwischen Menschen. Dies kann das Gemeinschaftsgefühl stärken und zum sozialen Miteinander beitragen. Städte, die solche Räume vernachlässigen oder in denen der öffentliche Raum unzugänglich gemacht wird (Straßen! Verkehr! Baustellen! Lärm! Dreck!), führen hingegen zu Isolation und Entfremdung. Und damit landen wir dann auch wieder bei der eben schon erwähnten Broken Window Theorie.


Funktionale Schönheit und Nachhaltigkeit:
Schönheit in der Architektur ist nicht nur eine Frage der Ästhetik, sondern oft auch der Funktionalität. Gebäude und Räume, die sowohl schön als auch funktional sind, tragen dazu bei, dass sich Menschen wohlfühlen und effizient nutzen können. Dies steigert die Lebensqualität und fördert nachhaltiges Verhalten.


Das Sydney Opera House
ist nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch ein äußerst funktionales Gebäude. Die charakteristischen Segelstrukturen bieten nicht nur eine beeindruckende ästhetische Kulisse, sondern dienen auch dazu, das natürliche Licht einzufangen und das Innere des Gebäudes zu beleuchten, was den Energieverbrauch reduziert.

Die Stadtbibliothek Stuttgart ist bekannt für ihr innovatives Design und ihre nachhaltige Architektur. Das Gebäude ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch funktional gestaltet, um maximale Flexibilität und Zugänglichkeit für die Nutzer zu bieten. Zudem ist die Bibliothek mit einer Vielzahl von ökologischen Technologien ausgestattet, wie z.B. einem intelligenten Energiemanagementsystem und einer effizienten Beleuchtung.

Das Bosco Verticale in Mailand, auch als Vertikaler Wald bekannt, ist ein Wohnkomplex, der mit Hunderten von Bäumen und Pflanzen bedeckt ist. Neben seiner atemberaubenden Ästhetik wirkt das Grün des Bosco Verticale als natürlicher Luftfilter, der dazu beiträgt, die Luftqualität in der Umgebung zu verbessern und gleichzeitig das Mikroklima des Gebäudes zu regulieren.

Das Bullitt Center in Seattle gilt als eines der nachhaltigsten Gebäude der Welt. Es wurde mit dem Ziel entworfen, Netto-Null-Energie, Wasser und Abfall zu erreichen. Das Gebäude ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch hochfunktional, mit einer Vielzahl von nachhaltigen Funktionen wie Solarstromanlagen, Regenwassernutzung und grünen Dächern.


Stadtplanung und Lebensqualität:

Städte, die unter Berücksichtigung von Schönheit und menschlichem Maßstab geplant sind, bieten ihren Bewohner:innen eine höhere Lebensqualität. Dies umfasst Aspekte wie Grünflächen, die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit öffentlicher Bereiche, sowie die Integration von Kunst und Natur in das tägliche Leben.

Ein Paradebeispiel für den Einsatz für mehr Lebensqualität im Zusammenhang mit Stadtplanung ist Barcelona. Barcelona macht vor, wie Städte aktiv daran arbeiten können, ihre Stadtgestaltung zu verbessern und eine lebenswerte Umgebung für ihre Bewohner:innen zu schaffen. Durch die Förderung von autofreien Zonen, die Schaffung von öffentlichen Begegnungsräumen und die Förderung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit trägt Barcelona dazu bei, eine wirklich lebenswerte Stadt zu gestalten.

Die Bürgermeisterin von Barcelona von 2015 bis 2019 war Ada Colau, die als Mitglied der Barcelona En Comú-Bewegung ins Amt gewählt wurde. Ada Colau und ihre Stadtregierung setzten sich aktiv für eine partizipative und sozial gerechte Stadtentwicklung ein. Sie unterstützten Initiativen wie die Schaffung der Superblocks, die Förderung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln und die Schaffung von öffentlichen Begegnungsräumen. Diese Maßnahmen waren Teil einer großen Vision für eine nachhaltige und lebenswerte Stadt. Und es blieb nicht nur bei einer Vision.

Eine der bemerkenswertesten Initiativen Barcelonas sind die Superblocks oder Superilles. Dabei werden mehrere Straßenblöcke zu autofreien Zonen umgestaltet, um Platz für Fußgänger:innen, Fahrradfahrer:innen und öffentliche Begegnungsräume zu schaffen. Diese Superblocks sind darauf ausgerichtet, den Verkehr und den Lärm zu reduzieren, die Luftqualität zu verbessern und die Lebensqualität der Anwohner:innen zu erhöhen.

Barcelona hat diese Initiativen zur Priorität gemacht und dafür einen umfassenden Stadtentwicklungsplan für den Zeitraum 2015-2020 entwickelt, der darauf abzielt, die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Dieser Plan umfasst verschiedene Maßnahmen wie die Schaffung neuer öffentlicher Plätze und Grünflächen, die Förderung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln und die Renaturierung von städtischen Gebieten. Wie immer halt: Es gibt nichts Gutes außer man tut es.

Die politische Bewegung Barcelona En Comú, die 2014 gegründet wurde, setzt sich für eine partizipative und sozial gerechte Stadtentwicklung ein. Barcelona En Comú hat eine Reihe von Initiativen unterstützt, die auf die Förderung der Bürger:innenbeteiligung und die Schaffung inklusiver öffentlicher Räume abzielen. Die Bewegung hat auch die Einführung von Maßnahmen wie den Superblocks unterstützt.

Die Stadt Barcelona hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 eine grüne und nachhaltige Stadt zu werden. Der Barcelona Green City Plan umfasst dafür verschiedene Maßnahmen zur Förderung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit, darunter die Reduzierung von CO2-Emissionen, die Förderung erneuerbarer Energien und die Schaffung von mehr Grünflächen und öffentlichen Parks. Der Plan wird Stück für Stück umgesetzt.

Mallorca II Foto: privat

Düsseldorf II Foto: privat


Die Macht der Architektur:

Architektur hat die Kraft, Stimmungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen. Dies wurde in verschiedenen Kontexten beobachtet, beispielsweise in Schulen, wo gut gestaltete Lernumgebungen die Lernleistung und das Wohlbefinden und damit auch das Miteinander der Schüler:innen eindeutig verbessern. Aber auch in Büros, wo eine angenehme Arbeitsumgebung die Produktivität und Zufriedenheit steigert. Architektur als Gestaltungselement beeinflusst und prägt die physische und emotionale Umgebung und damit auch die Stimmungen und Verhaltensweisen der Menschen in verschiedenen Kontexten.


Schularchitektur und Lernumgebung:
Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik hat gezeigt, dass gut gestaltete Klassenzimmer mit ausreichendem Tageslicht, angenehmer Akustik und ansprechendem Design die Lernleistung und das Wohlbefinden der Schüler:innen deutlich verbessern können. Beispielsweise können flexible Möbelarrangements und offene Lernbereiche die Zusammenarbeit und Interaktion zwischen den Schüler:innen fördern.

Wobei, wenn wir uns Deutschlands marode und heruntergekommene Schulen mal anschauen, es ja auch schon damit anfängt, dass die Schüler:innen nur in den seltensten Fällen saubere und hygienische Toiletten vorfinden. Wie sollen Kinder da Lust auf Lernen und Schule, geschweige denn auf ein gutes Miteinander mit Lehrer:innen und Schüler:innen entwickeln, wenn ihnen so wenig Respekt gezollt wird, dass sie noch nicht mal saubere Klos nutzen können? Aber auch das ist doch eigentlich logisch und bedarf keine Studie. Schaut man sich auch die Klassenzimmer an öffentlichen Schulen an, greift man sich an Kopp. Es ist fast immer eine Zumutung und Strafe, hier seine Tage fristen zu müssen.

Büroarchitektur und Arbeitsumgebung: Unternehmen wie Google und Apple sind bekannt für ihre innovativen Bürokonzepte, die darauf abzielen, eine angenehme und inspirierende Arbeitsumgebung zu schaffen. Dies umfasst offene Bürobereiche, Ruhezonen, Grünflächen, Gemeinschaftsräume und flexible Arbeitsplätze. Studien haben gezeigt, dass solche Arbeitsumgebungen die Produktivität, Kreativität und Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen steigern können.

Krankenhausarchitektur und Heilungsumgebung: Auch in der Krankenhausarchitektur spielen Aspekte wie Tageslicht, Aussicht, Farbgestaltung und Raumplanung eine wichtige Rolle bei der Schaffung einer heilenden Umgebung für Patient:innen. Beispielsweise haben Studien gezeigt, dass Patientenzimmer mit Blick auf Natur oder Grünflächen die Genesung beschleunigen können, während eine angemessene Akustik und Privatsphäre das Wohlbefinden fördern. Auch das irgendwie … logisch.

Wohnarchitektur und Lebensqualität: Die Gestaltung von Wohngebäuden und -vierteln kann einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Bewohner:innen haben. Faktoren wie Wohnungsgröße, Belichtung, Belüftung, Lärmpegel und Zugang zu Grünflächen spielen eine wichtige Rolle. Beispielsweise können gut gestaltete Gemeinschaftsräume und öffentliche Plätze das soziale Miteinander fördern und ein Gefühl der Zugehörigkeit schaffen.

Natürlich: Die Ursachen für gesteigerten Stress, Unsolidarität und soziale Konflikte sind komplex und nicht ausschließlich auf die Gestaltung unserer Lebensräume zurückzuführen. Faktoren wie wirtschaftliche Ungleichheit, politische Spannungen, soziale Isolation, Klimawandel und technologische Entwicklungen spielen ebenfalls eine Rolle.

Dennoch kann aber eine bewusste und bessere Planung und Gestaltung unserer Städte und Gemeinden, die Schönheit, Harmonie, Ruhe, Funktionalität, das Menschliche und das Natürliche (wieder) betont, sicherlich sehr dazu beitragen, ein viel besseres Lebensumfeld zu schaffen und das Zusammenleben der Menschen deutlich zu verbessern.

Ja, die ästhetische Qualität unserer Umgebung hat einen direkten Einfluss auf unser soziales und emotionales Leben. Am Ende brauchen wir dafür auch noch nicht empirische Forschungen und aufwendige Studien. Wir nehmen es doch wahr, spüren es, fühlen es, sehen es. „Investitionen“ in die Schönheit, Sauberkeit und Harmonie unserer Städte sind also kein „Gedöns“ und unnötiges Chichi, sondern sie tragen eindeutig dazu bei, nein, vielleicht noch nicht mal das, sie sind vielmehr absolut essentiell und dringend notwendig, um gesündere, zufriedenere und solidarischere Gesellschaften zu fördern.


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