Ausgelesen: Nachmittage, Herzen, Zuhause, Champagner und 40

Das Buch hatte ich im Oktober 2022 gekauft. Und erst im Januar 2024 wollte e dann finally von mir gelesen werden. Mein bisher erstes und einziges Buch von Ferdinand von Schirach.

Eine Geschichtensammlung. Geschichten, die der Autor erlebt hat, seine Erfahrungen und Beobachtungen. Ich mochte das Buch sehr. So gut geschrieben. Kleine und große Geschichten, toll und spannend erzählt, präzise und on Point. Mit einigen Dingen und Themen zum Drüber Nachdenken. Nichts ist zu viel, keine Effekthascherei mit Worten. Sondern glasklar. Zwischen den Zeilen schwingt unglaublich viel Melancholie und Traurigkeit mit, die mich sehr berührt und bewegt hat. Da ist am Ende auch, nur, ein Mann, der auf der Suche ist. Nach Liebe, nach Anerkennung, nach Sinn, nach Wertschätzung, nach Lebenszärtlichkeit. Kurze, pieksende Andeutungen von Herzschmerz und Liebeskummer. Ein Hauch von Ahnung von einem sehr schwierigen Verhältnis zum Vater. Und eine Kindheit und Jugend, die wohl alles andere als schön war. Der Autor erzählt davon so gut wie gar nichts. Sondern es sind lediglich wie im Vorbeigehen fallen gelassene vereinzelte Sätze, die die Leser:innen einen Glimpse seiner Abgründe und Schmerzen erhaschen lassen. Dass man mit wenig so viel erzählen und erzeugen kann, hat mich sehr beeindruckt und sehr bewegt. Das Buch war für mich wie ein schwerer, sanfter Rotwein. Es hat mich nach unten gezogen. In die Tiefe. In die Melancholie. In die Traurigkeit. Und irgendwie war es schön da.


Nach „Kleine Feuer überall“ und „Was ich euch nicht erzählte“ mein mittlerweile drittes Buch von Celeste Ng.

Ich kann mich der Faszination, wie Celeste Ng Geschichten erzählt, nicht entziehen. Ihre (bisherigen) Bücher sind immer Familiengeschichten mit Tragik, Drama und Schmerz. Und dennoch begebe ich mich immer wieder gern in die melancholischen und traurigen Geschichtengemengelagen, die Celeste Ng webt. Ich bewundere ihre Sprache, ihren Stil und wie sie klar und präzise Dinge beschreiben und ausdrücken kann, für die sich normalerweise kaum Worte finden lassen.

Wenn ich „Unsre verschwundenen Herzen“ richtig verstanden habe, hat Celeste Ng eine schockierende und herzschmerzende Dystopie gezeichnet, die von unserer „echten Welt“ gar nicht so weit entfernt ist, wenn wir nicht aufpassen. Fremdenhass, ein entsetzliches  Überwachungs- und Denunziationssystem, eine vergiftete Gesellschaft in ständigem Misstrauen und Angst, Kinder, die ihren Eltern für immer weggenommen werden. Und eine Protagonisten-Familie, die aus Versehen in all das reingeraten ist. Mir hat das Buch mein Herz zerrissen und es hat mich mit Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit hinterlassen. Denn auch wenn die mutige Protagonistin gegen das entsetzliche System rebelliert, gibt es kein Happy End. Und auch keine Hoffnung. Mittlerweile weiß ich, dass Celeste Ngs Bücher nie ein Happy End haben. Und immer Schmerzen verursachen. Aber es sind heilsame Schmerzen. Schmerzen, die einem wie Spiegel vor Augen führen, in welcher Welt wir leben und wie sie uns entgleisen kann, wenn wir nicht aufpassen. Spiegel, die uns zeigen, wo unsere Verantwortungen und Aufgaben liegen, was beschützt und bewahrt und verteidigt werden muss.


Ein ganz wunderschönes und besonderes Buch. Ich war überrascht, baff und begeistert, wie es Tim Schlenzig allein mit Poesie und Lyrik gelingt, krass gut, on point, klar und teils herzzerreissend und teils trocken humorvoll zu beschreiben, wofür andere viel Blabla in Ratgeber- und Biographiebüchern brauchen. Besonders musste ich schmunzeln bei der „Ich bringe den Müll raus Episode“ und wie er beschreibt, wie er sich dabei fühlt, und aufpassen muss, sich nicht selbst in die Tonne zu schmeißen. Ja, es zeugt von tiefer Traurigkeit, und dennoch, ein Bild zu zeichnen, fast comicartig, wie da ein Lost Boy steht und sein Sieg des Tages war, sich nicht selbst mit in die Tonne zu kloppen, ist irgenwie tragisch-satirisch-gut-und-schön. Und ja, seitdem stehe ich auch jedes Mal vor der Mülltonne und muss schmunzeln über den kleinen Sieg: I´m okay. Heute kloppe ich mich nicht mit rein.

Mich haben viele seiner „Poems“ mitten ins Herz getroffen. Und man kann als Leser:in nur erahnen, durch wieviel Schmerz der Autor in seinem Leben bisher durch musste. Und wie schmerzvoll sein jahrelanger, jahrzehntelanger Prozess und Kampf war und ist, diesen Schmerz besiegen und loswerden zu können.

Umso bewundernswerter finde ich, wie „nackig“ sich Tim macht, wie offen und schonungslos er seine „Macken“, Ängste und mentalen und psychischen „Störungen“ er mit der Welt teilt. Er demontiert sich teilweise selbst, um sich im selben Atemzug aber genau damit die Angst davor zu nehmen, um in seinen Abgrund zu schauen, und genau darin die Heilung zu finden. Mit genau dieser Schonungslosigkeit. Manchmal habe ich mich gefragt, warum er manche Dinge teilt, weil sie teilweise wirklich hart und schockierend sind. Und gleichzeitig liegt genau darin die Kraft des Buches und sicher auch die Kraft von Tim, sich selbst zu heilen - und sein eigenes Zuhause zu finden und zu sein.

Tim beschreibt Gefühle und Momente, die wir alle irgendwann mal durchmachen. Die tiefste Ablehung von sich selbst, die tiefste Ablehung und Angst vor der Welt und den anderen Menschen. Und das Paradoxon, das genau darin liegt - die gleichzeitige, tiefste Sehnsucht nach genau all dem: Sich selbst, nach der Welt und nach den anderen Menschen. Und zu all dem eine Verbindung zu haben. Eine Verbindung, die wir aber immer wieder selbst sabotieren und blockieren.

Danke, dass du alles in deinem Buch teilst, Tim. Auf Tim-Art. Leise. Wunderschön. Tief.


So viel literarische Melancholie braucht dann auch mal irgendwann einen Gegenpol! Und was steht mehr für Savoir Vivre und Lebenslust als Champagner? Zu meiner 2024-Bucketlist gehört u.a. ein kleiner Ausflug in die Champagne. Und klaro, da schmökert man dann auch mal in einem Reiseführer. Aber wer liest bitteschön einen ganzen, kompletten Reiseführer? Ähm. Ich.

Denn die 111 Tips und Orte sind so faszinierend, spannend und interessant beschrieben - mit Hintergrundwissen, Vorstellung von spannenden Persönlichkeiten und Winzer:innen, History of the Champagne-Anbau und, natürlich, sehr vielen Einblicken in die kulinarischen Genüsse - dass ich mir schon beim Lesen das imaginäre exklusive Blubberwasser auf der Zunge kribbelt. Und ich wirklich zu fast allen dieser 111 Orte hin will. Und sehr viel Champagner trinken, probieren und verköstigen muss. Das wird ein teures Vergnügen. Und ich freue mich drauf.


Auch dieses Buch lag eine Weile im Regal, gekauft im November 2022, finally gelesen im Dezember 2023. Gekauft, weil es ein Tip war von Miriam Stein, die ich im Oktober 2022 als Rednerin beim GUK eingeladen hatte, die das Buch ihrer Freundin Marlene Sørensen auf Instagram als Tip geteilt hatte, und ehe ich noch groß drüber nachdenken konnte, hatte ich es auch schon bestellt. Vielleicht lag es daran, dass die Autorin der selbe Jahrgang ist wie ich, und die Zahl 1979 mich immer wieder zucken lässt, wenn ich sie bei anderen sehe und ich völlig (und völlig bescheuertweise) überrascht bin, dass auch andere in diesem Jahr geboren worden sind. Ja, ein Teil von mir pachtet dieses Geburtstjahr für sich ganz alleine.

Als das Buch dann kam, dachte ich: Och nö. Eigentlich wollte ich das gar nicht lesen. Weil, selbst die 40 schon eine Weile überschritten, ich mich doch immer wieder dabei ertappte, alles, was das Label hatte „Frauen über 40“ erst einmal grundsätzlich und nachhaltig doof zu finden. Ich will und wollte nicht in dieser „Frauen-über-40-Rumjammer-Empowerment-Anti-Pro-Whatever-Aging-Suppe“ mitschwimmen. Call it Verdrängung, call it Trotz, call it Bockigkeit, call it wie du willst.

Und dann habe ich es mir doch irgenwann geschnappt, nach einem Jahr des „Nö, dich lese ich nicht!“ endlich ein „na gut, dann wollen wir mal“. Und eigentlich habe ich es nur angefangen um nach ein paar Seiten beschließen zu können, es wirklich nicht lesen zu müssen, weil, belanglos. So viel zum Thema “vorbehaltloses Lesen”.

Und dann, dann habe ich das Buch echt gerne gelesen. Und es wurden viele Ecken umgeknickt, oben und unten, weil es viele Gedanken enthielt, die mich bewegten, berührten, inspirierten und abholten. Die Autorin denkt über alles mögliche nach, was im Leben so wichtig ist. Und nicht nur im Leben ab 40. Da sind „oberflächliche“ Themen dabei (Klamotten, Aussehen, Botox), die aber am Ende nie einfach nur oberflächlich sind, sondern für uns alle tiefe Bedeutungen und Wichtigkeit haben. Ja, die perfekte Jeans ist lifechanging. Und sich wohl und hübsch und somehow sexy zu fühlen ein Gamechanger, Stimmungsbooster und Self-Empowerment. Verlogen, wer sich dem nicht entziehen kann. Aber es geht auch um offensichtlich tiefgreifende Themen wie Mental Health, Politik, Therapie, Ängste, Sorgen, Feminismus, Partnerschaft, Sexualität, Elternsein. Tief berührt und bewegt hat mich vor allem das Kapitel über ihren Sohn und seine Entwicklungsbesonderheiten und die unglaublichen Herausforderungen, die sie als Familie bewältigen, jeden Tag.

„So ein Buch“ zu lesen bringt am Ende nicht wirklich Antworten. Aber es sorgt für Verbundenheit, zu wissen, verdammt, wir sitzen doch alle im selben Boot, wir haben alle ähnliche Struggles, auch wenn wir es selten im Außen so zugeben. Wir alle sehnen uns nach den gleichen Dingen, wir alle haben Angst vor den gleichen Themen. Und wir sind nicht allein damit. Wir alle kämpfen und verzweifeln und stolpern uns durch unsere Leben. Und allein das ist ein Trost. Ein warmer, schöner, hoffnungsvoller Trost. Das Leben ist bescheuert, und so are we. So what.


Und sonst: Ausgehört (leider Enttäuschungen) und Podcast-Tips


Also Audiobook in den letzten Wochen gehört habe ich „Der Klang von Licht“ von Clara Maria Bagus und „Ciao“ von Johanna Adorjan. „Der Klang von Licht“ hat mich tierisch aufgeregt, es war die reinste Aneinanderreihung von „Paulp-Coelho-Möchtegern-Weisheiten“, platten Kalenderblatt-Aphorismen und einer Story, die glaube ich, hätte echt gut sein können, hätte die Autorin den ganzen Metaphern-Klugscheißer-ich-baue-in-jedem-zweiten-Absatz-eine-Coaching-Lebensweisheit-Belehrung-Überbau einfach mal weggelassen. Ich glaube, ich habe das Buch nur deshalb komplett zu Ende gehört, weil ich eine hämische Freude entwickelt hatte, mich über das Buch aufzuregen. Die Story: Irgendwelche familien Verstrickungen und Dramen, alle haben sie französische Namen, aber wo und wann die Story nun spielt, wird irgendwie nicht klar. Die Dramen der Charakere sind teilweise so hanebüchen und noch hanebüchener die stückweise Auflösung und „Katharsis“. Ja, ich habe mich richtig aufgeregt über das Buch.

Von Johanna Adorjans „Ciao“ war ich auch enttäuscht und ich hatte nach der Hälfte des Buches keine Lust mehr, es weiter zu hören und wusste auch nicht, wohin ihr Gesellschaftsgemälde nun führen sollte. Irgendwas mit alten weißen Medienmännern, die ausgedient haben, Feminismus, MeToo, Medienbranchen-Satire. Aber es fühlte sich beim Lesen/Hören so an, als würde man aus reiner Langeweile eine Tüte Chips futtern, die einem aber überhaupt gar nicht schmeckt. Und irgendwann merkt man das und dann schmeißt man die halbvolle Tüte Chips genervt und wütend über sich selbst (weil man das fahle, nicht schmeckende Zeug in sich rein gestopft hat) in den Müll. Das einzige was bei mir hängen blieb, war, dass eine der Protagonistinnen auch Henriette hieß, was selten genug vorkommt, dass ich meinem Namen irgendwo begegne. Und dass Henriette, die Ehefrau vom männlichen Protagonisten, dem gealterten Medienfutzi, es mittlerweile völlig egal ist, dass er sie ständig mit jungen Praktikantinnen betrügt, weil das wäre ja schließlich sein Problem und nicht ihrs. Da denke ich tatsächlich bis heute noch drüber nach.


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