Liebe, Trennung, Wachstum

November 2023: Diesen Artikel habe ich im Frühjahr 2020 geschrieben. Ich habe ihn auch immer wieder mal von meiner Website genommen, weil es Phasen gab, in denen ich nicht mehr so viel von mir Preis geben wollte und ich mich damit unwohl gefühlt hatte. Dennoch: Ich habe im Laufe der Jahre so viel Resonanz darauf bekommen. Immer wieder. So viele Fragen, so viel Feedback. So viele Menschen, die in ähnlichen Situationen stecken, nicht wissen, wie es weiter geht, verzweifelt sind. Und denen es immer ein Trost war, zu wissen, sie sind nicht allein damit.

Weil das Thema so “zeitlos” ist, veröffentliche ich ihn nochmal neu. Inklusive einer Ergänzung, ganz am Ende des Textes.


März, 2020

Jetzt bin ich auch so eine. Ich habe einen Ex-Mann. Willkommen, liebe Henriette, im Scheidungsclub. Seit dem 27.02.2020 bin ich geschieden. Ich bin jetzt eine Ex-Frau. Mit Kind. Auweia! Ich knalle mir selbst die Fail-Etiketten einer Gesellschaft drauf, die noch immer meint, dass sowas nicht sein darf.  

Habe ich verloren? Versagt? Nein. Überhaupt nicht. Denn den Mut gehabt zu haben, diesen Weg zu gehen, mich dafür zu entscheiden, meinem Herz(en) zu folgen und darauf zu vertrauen, dass alles irgendwie doch und trotzdem gut ist und wird, ließ mich die letzten Jahre wachsen. In mich selbst hinein. 

Mein Ex-Mann Stefan hat den Tag unserer Scheidung auf Facebook (Post 1 // Post 2) und Instagram (Post 1 // Post 2) geteilt. In zwei Posts hat er die Menschen, die sich für ihn und das, was er tut, interessieren, darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir uns haben scheiden lassen. Und dass wir okay damit sind. Es gab hierfür viele positive Kommentare, aber natürlich auch Kommentare, dass das doch unmöglich sei, wie kann man sowas überhaupt teilen und dann auch noch „abfeiern“. Die Bandbreite an allen möglichen Meinungen und Emotionen war und ist groß. Denn natürlich hat jeder ein ganz eigenes Bild und eine ganz eigene Vorstellung in Sachen Liebe, Ehe, Trennung, Scheidung. Und wie das alles eben so zu sein hat. 

Stefans Postings erwecken vielleicht auch den Eindruck, dass wir uns mal eben haben scheiden lassen. Läuft nicht mehr, na und, so what, ab in die Tonne damit, also ab zum Gericht, und dann alles easy peasy. Nee. So war und ist das alles natürlich nicht. 

Unsere formale Scheidung hat keine fünf Minuten gedauert, wir haben dabei gekichert, aber waren uns der Tragweite des Ganzen gleichzeitig auch voll bewusst. Keine Tränen. Eher Staunen. Natürlich ist das skurril, da sitzt man in diesem kleinen Sitzungssaal, eine Richterin in Robe vollzieht die ganzen Formalitäten (ach was, man spricht das also alles in ein Diktiergerät für´s Protokoll, ist ja interessant, wusste ich nicht) und schwupp, geschieden. Und im Kopf hämmert es: Krass, du wirst gerade geschieden. Du bist gerade mitten in einem Setting, von dem du immer dachtest, dass du da nie drin stecken wirst. Du bist im falschen Film! Und doch im völlig richtigen. Nämlich in deinem Film. Dessen Drehbuch du genau so geschrieben hast.

Eine Scheidung ist wie eine Geburt. So normal, so alltäglich. So überall auf der Welt in jedem Moment. Und doch für jeden einzelnen so krass und unbegreiflich. Und dann gehst du da raus, die Welt ist die selbe und doch nicht mehr gleich. Wir gehen danach Kaffeetrinken und teilen uns rumalbernd ein zuckriges Puddinghörnchen. Quatschen mit unserer Anwältin, die uns beide vertreten und begleitet hat. Einvernehmlich. Gäbe es keine Anwaltspflicht, wir hätten alles auch ohne Anwalt regeln können. Fahren zusammen nach Hause, denn unsere Adresse ist noch immer dieselbe, zwei Wohnungen im selben Haus. Schauen uns an und fragen uns gegenseitig: Bist du okay? Ja, wir sind okay. 

Seid ihr jetzt gescheidet?

Nach Hause kommen, einen riesigen Hunger haben, erst mal eine Ramensuppe essen gehen, und  immer wieder der Gedanke: Du kommst gerade von deiner Scheidung. In sich rein horchen und spüren: It´s all good. Mein Sohn (8), der nach Hause kommt und aufgeregt fragt: „Seid ihr jetzt gescheidet?“ Antworten: „Yes, Man, wir sind jetzt gescheidet.“ Er schnuckelt sich aufs Sofa und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Chillen mit iPad und Zocken. Alles so wie immer. Ich beobachte ihn heimlich. Ist der Kleine wirklich okay? Ja. Ist er. 

Die „Formalitäten“ der Trennung haben wir ohne Anwalt gemeinsam geregelt, geklärt, besprochen. Am Küchentisch. Ich will und wünsche mir das. Und was du? Okay für dich? Okay für mich? Okay für unseren Sohn? Okay für uns? Dann okay. Das meiste hatten wir sowieso vorher im Ehevertrag geregelt. Hätten wir es nicht vertraglich eh schon vorher geregelt, hätten wir es auch jetzt genauso gemacht. Also eigentlich war der Vertrag unnötig. So wie Verträge eigentlich immer überflüssig sind, wenn man Dinge miteinander vernünftig klärt. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Keine Forderungen an den anderen. Was deins ist, ist deins. Was meins ist, ist meins. Das einzige „unser“ ist unser Sohn. Und das regeln wir zusammen. Beide sorgen wir gemeinsam für unseren Sohn.

Graphic by AI, Midjourney

Wir haben auch keinen Masterplan und zig Zukunftsszenarien durchgedacht, was ist, wenn A eintrifft, was ist, wenn B, was ist, wenn C? Nein. Wir vertrauen darauf, dass wir alles auch in Zukunft miteinander vernünftig klären können und immer Lösungen finden werden. Derzeit wohnen wir z.B. im selben Haus in verschiedenen Wohnungen. Hat auch Nachteile, weil na klar wünscht man sich auch mal etwas mehr Distanz. Aber es ist für die Family-Konstellation natürlich praktisch und schön. Unser Sohn kann im Schlafanzug zu Mami oder Papi je nach Lust und Laune rüber huschen. Der Hund springt eh von A nach B. Das ist im Moment gut so. Aber wir sagen auch, wenn einer Lust hat, auszuziehen, umzuziehen, auch das ist dann okay, und auch dafür werden wir Lösungen finden, wie wir das dann z.B. mit unserem Sohn machen werden. Der  sagt eh schon die ganze Zeit, er will mal umziehen. 


Der Weg in den dunklen Wald 

War das wirklich alles so easypeasy? Nein. Natürlich nicht. Und es wäre auch völlig falsch, das vermitteln zu wollen. Was ich aber gern vermitteln möchte, ist, den Mut zu haben, in den dunklen Wald hineinzugehen (so habe ich es immer genannt) und sich dem zu stellen, wenn man spürt, dass gemeinsam geplante Lebenswege nicht mehr gemeinsam gegangen werden wollen. 

Dem Tag unserer wirklich sehr friedlichen und gelassenen Scheidung ging ein zweijähriger Trennungsprozess voraus. Und diesem Prozess wiederum gingen zwei Jahre voraus, in denen ich mit mir selbst gekämpft habe. Allein. Ich habe mal gelesen, dass viele Frauen das so machen. Den Mann nach einem langen inneren Prozess vor vollendete Tatsachen stellen und ihm keine Chance geben, noch irgendwas reißen zu können. Ist das falsch? Ja. Konnte ich es anders oder besser? Nein. Innerlich komplett verzweifelt und zerrissen. Kopf versus Herz. Der Verstand, der sagt, es ist doch alles gut und Mädchen, sei doch nicht dumm, du hast alles, it´s all perfect und easy.

Und überhaupt, was ist mit dem Kind, nein, das kannst du ihm nicht zumuten, das alles hier kaputt zu machen. Das Kind liebt diese Familie. Mach sie nicht kaputt. Und auf der anderen Seite das Herz, das dich deutlich spüren lässt, dass du nicht glücklich bist und glücklich wirst, wenn du auf die Verstand-Karte setzt. Kannst du deinem Kind eine unglückliche Mutter zumuten? Hat dein Mann eine Frau verdient, die nur so tut, als wäre alles paletti? Nein. Kannste nicht, willste nicht, wirste nicht. Aber zu dem Schluss zu kommen, hat gedauert. Es braucht seine Zeit. 

Es ist keine Liebe mehr da. Und ich verzweifle daran so sehr, dass ich alles, was wir hier aufgebaut haben, zum Einstürzen bringen muss. Es geht nicht anders. 


Irgendwann kommt der Moment. Der Moment, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte: Es auszusprechen. Es ist vorbei. Ich will das nicht mehr. Ich finde dich nach wie vor echt okay, aber es ist keine Liebe mehr da. Und ich verzweifle daran so sehr, dass ich alles, was wir hier aufgebaut haben, zum Einstürzen bringen muss. Es geht nicht anders. Und wenn wir das hier nicht bald regeln, werde ich dich sogar auch irgendwann nicht mehr okay finden können, sondern dich immer mehr ablehnen. Passive Aggressivität, die mich von innen auffrißt und mich und alles um mich herum vergiftet. Den anderen einfach nicht mehr ertragen können, in all seinem Sein.

Zu wissen, dass man dem Partner damit den Boden unter den Füßen wegzieht. Und zu wissen, dass ab dem Moment, in dem du es aussprichst, nichts mehr so sein wird, wie vorher. Du ziehst die unterste Karte des Kartenhauses und alles kracht zusammen. 

Monatelang Tränen, Verzweiflung, Diskussionen, Auseinandersetzungen, Trauer, Überforderung. Der ganze pralle Gefühlscocktail. Der andere, der verstehen will und du ihm aber nicht die Antworten geben kannst, die ihm helfen, zu begreifen. Erschöpft sein, nicht weiter wissen, traurig, wütend, alles. Wann hast du aufgehört, mich zu lieben? Was ist passiert? Was haben wir falsch gemacht? 

Kann man Liebe anhand eines Zeitstrahls zurück verfolgen und dann datieren, aha, genau in diesem Moment hat sie sich vom Acker gemacht? Nee. Kann man nicht. Ach, es ist komplex. Auf einmal passt es nicht mehr. Sowas passiert halt. Man selbst hat sich verändert, will auf einmal andere Dinge. Entdeckt sich selbst völlig neu, und ist schon lange nicht mehr diejenige, die der Partner glaubt zu kennen. Und die man selbst noch nicht mal richtig kennt. 

Fragen wie: Warum hast du nicht mit mir geredet, mich daran teil haben lassen? Weil das Kind schon längst in den Brunnen gefallen war. Es wäre wie Soldaten in einen längst verlorenen Krieg zu schicken gewesen. 

Man kann Liebe nicht herbei reden. Paartherapie funktioniert in meinen Augen nur, wenn die Liebe grundsätzlich noch da ist, aber die Dinge drumherum nicht funktionieren. Das Drumherum kann man alles regeln und lösen. Aber wenn es andersrum ist? Die Dinge drumrum funktionieren, aber die Liebe ist nicht mehr da? Die kann man halt nicht hertherapieren oder herbei reden. 

Irgendwie aushalten, irgendwie mit dem Leben weitermachen. Keine Ahnung haben, wie das alles gehen soll. Und rückblickend erkennen, dass auch das okay ist. Und wir nicht für alles sofort einen Masterplan brauchen. Babyschritte gehen. Langsam. Und der Weg sich irgendwie findet.


Wie sagen wir es unserem Kind? 

Die Angst davor, es unserem Sohn zu sagen. Das haben wir erst getan, als wir halbwegs selbst wieder klar gekommen sind und halbwegs stabil waren. Unsere Tränen und Diskussionen hat er nicht mitbekommen. Den Satz eines klugen Menschen im Ohr haben, der mir mal sagte: “Was willst du deinem Kind vorleben? Masken tragen und so tun als ob, und irgendwann fällt es dir eh auf die Füße und dein Kind macht dir Vorwürfe, dass du ihm nur Theater vorgespielt hast? Oder zeigst du ihm, dass sich Dinge eben manchmal verändern und dass sie sich auch verändern dürfen und dass es einzig und allein darum geht, wie wir damit umgehen?” 

Dem Kind sagen, dass Mami und Papi sich getrennt haben. Ihm unsere Erklärungen liefern. Ihm Rede und Antwort stehen. Auf alle Fragen antworten. Nichts verbergen. Ihm auch nichts vorspielen. Ihm auch sagen, dass wir keinen genauen Plan haben. Ihm sagen, dass wir alle jetzt einfach mal schauen, wie das so weiter geht. Ihm das Gefühl geben, dass wir das alle zusammen schaffen. Und dann sagt er, okay, und spielt weiter. Ihn beobachten. Ist er wirklich okay? Ja, ist er. Denn er sieht, dass Mami und Papi echt nett und okay miteinander umgehen. So wie immer eigentlich. Nur halt nicht mehr knutschen und so.

Ihm versichern, dass die Liebe zueinander zwar weggeflogen ist, aber die Liebe zu ihm niemals wegfliegen wird. Weil die bleibt für immer. Er reflektiert: „Ihr trennt euch nicht, weil ihr euch hasst, sondern weil die Liebe halt woanders hinfliegen will.“ Ja, so kann man es sagen. Er rückversichert sich immer wieder: Ihr seid aber noch Freunde, oder? Wir sagen ihm, ja, sind wir, wir geben uns Mühe. Machen wir ihm falsche Versprechungen? Nein. Aber wir geben ihm das Vertrauen, dass er sich, auch wenn sich die Dinge verändern, trotzdem auf uns als Eltern verlassen kann.

Graphic by AI, Midjourney

Wir „managen das Kind“ gemeinsam, mit allem, was dazu gehört. Papi-Time, Mami-Time, ab und an auch Zusammen-Time mit gemeinsamem Essen. Wir reden offen über alles. Aber nie schlecht übereinander. Andersrum sicher genauso. Aber kein Grund, Drama zu machen. Unser Sohn stellt uns Fragen, ob wir neu heiraten werden, in wen wir denn jetzt verliebt sind. Bis hin zu Fragen eher peinlicher Natur. Egal, was er fragt, wir antworten. Wir beziehen ihn mit ein. Er fragt, ob wir irgendwann mal umziehen. Die Antwort: Vielleicht, kann sein. Er so: Cool, dann habe ich zwei Zimmer, eins bei Papi, eins bei Mami. 

Wir reden mit ihm auch kurz vor dem Termin über die anstehende „Scheidung“, nachdem wir bereits schon zwei Jahre getrennt leben. Im ersten Moment entgleisen ihm etwas die Gesichtszüge. Denn er hat den Begriff sicher schon woanders in anderem Zusammenhang gehört. Und vielleicht gelernt, dass das was ganz Schrecklichschlimmes ist. Wir erzählen ihm, was es für uns bedeutet. Wie es weiter geht. Dass alles okay ist. Er entspannt sich. Spielt weiter. Er ist okay. Ich beobachte ihn. Ist er wirklich okay? Ja, ist er. 

Unser Sohn vertraut uns, gibt sich voll und ganz der Veränderung hin. Er vertraut uns, dass wir das alles nicht verkacken und schon ordentlich meistern. Und das ist das größte Geschenk. Indem er uns vertraut, können auch wir darauf vertrauen, dass alles, egal wie wir es gestalten, gut sein wird. 

Unser Sohn vertraut uns, gibt sich voll und ganz der Veränderung hin. Er vertraut uns, dass wir das alles nicht verkacken und schon ordentlich meistern. Und das ist das größte Geschenk. Indem er uns vertraut, können auch wir darauf vertrauen, dass alles, egal wie wir es gestalten, gut sein wird. 


Liebe, All-ein-sein, Ehe, Konstrukte, Gesellschaft 

Ach und überhaupt. Diese vermaledeite Sache mit der Liebe. Was habe ich in den letzten Jahren dieses Feld „studiert“. Zig Bücher gelesen, u.a. Esther Perel, Osho, Friedemann Karig, David Schnarch. Hab recherchiert, gegoogelt, Filme und Dokus geschaut, sogar hier und da einige Online-Kurse gemacht. So viel gelernt über die Liebe, über Selbstliebe, über Spiritualität, über die vielen Formen und Modelle, Eifersucht, Ehe, Affärenkram, die Dynamik von Lust und Leidenschaft, Polyamorie und und und. Das alles zu lesen, schmerzt und tut echt weh, weil es an so vielem kratzt, womit man selbst zu kämpfen hat und was einen piekt und triggert. 

Die Geschichte der Ehe ist z.B. interessant. Friedemann Karig deckt hier einiges in seinem Buch „Wie wir lieben“ auf. So war die Ehe eigentlich nur ein gesellschaftliches Konstrukt, um für Ordnung zu sorgen. Und wo Ordnung herrscht, lassen sich Menschen besser kontrollieren. Kein Wunder also, dass alle anderen Modelle außerhalb der Ehe noch immer vehement bekämpft werden und die Ehe als das einzig Wahre gilt. Kein Wunder also, dass jeder Scheidung der Glaubenssatz zu Grunde liegt, krass versagt zu haben. Denn du bist fortan kein gutes Mitglied der ordentlichen Gesellschaft mehr! 

Aber kann man Liebe lernen? Alles Wissen und Verstehen-Wollen, alle Perspektivenwechsel, das alles bringt das Karussell im Kopf nur noch mehr dazu, sich schneller zu drehen. Mir schwirrt der Kopf und es geht mir wie Goethe, der da in seinem Faust schriebt: Da steh´ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. 

Man kann sich Liebe wohl nur erstolpern. Ein Leben lang. Immer rein in den Schlamassel. Mit Anlauf und Karacho. Denn trotz allem Wissen darum, sich selbst volle Lotte zu lieben, und wie befreiend und erfüllend es doch ist, allein (ALL-EIN) zu sein, und wie geil, niemanden zu brauchen und niemanden zu wollen und keine Sehnsucht und Begierde mehr zu haben (darauf zielen letztlich alle smarten Jahrhunderte alten Philosophien ab: Die Yoga-Sutren. Eckhart Tolle. Die Stoiker. Osho.) so ist doch eine Vorstellung die schönste: Deinen Weg Hand in Hand mit diesem einen, ganz besonderen Menschen zu gehen. Mit diesem Menschen zu wachsen. Mit diesem Menschen lernen. Wenn durch die Scheiße, dann mit ihm. Wenn in höchste Höhen, dann mit ihm. Wenn langweiliger Alltag, dann mit ihm. Diesen einen unangefochtenen Herzmenschen an seiner Seite zu wissen. Verdammte Axt, das ist es doch, das Glück. 

Man kann sich Liebe wohl nur erstolpern. Ein Leben lang. Immer rein in den Schlamassel. Mit Anlauf und Karacho.


Neue Liebe und Patchwork-CHAOS 

Den Herzmenschen finden und gefunden haben. Details über diesen Handlungsstrang der Geschichte zu schreiben, würde einen 1000-Seiten-Roman ergeben. Deshalb nur kurz: Crash, Boom, Bang. Hals und Herz über Kopf. Volle Lotte. Alter Falter. Wow. Bähm. Puh. 

Und dann stehst du nicht nur vor Fragen wie „Wie managen wir eine Trennung mit Kind?“ sondern gleichzeitig auch vor Fragen wie „Wie geht das jetzt mit dem neuen Partner?“. Was machst du, wenn sich Ende und Anfang überlagern? Dezent durchdrehen? Mitunter auch. Auch hier: Weg vom Planen, weg vom Kontrollieren wollen. Der Weg ergibt sich, wenn du ihn gehst. Und manchmal steckst du auch mitten im Sumpf fest und es ist kein Weg da. Dann musst du da durchwaten. Denn es geht schon lange nicht nur um dich, deinen Ex-Mann und dein Kind. Du bist so daran gewöhnt, alles aus dieser Perspektive zu betrachten, dass du gar nicht siehst, wie sehr dein Herzmensch, dein neuer Partner, ebenfalls damit zu kämpfen hat. Du vergisst bei deinem ganzen Brassel, dass da jemand ist, der mit deinem ganzen Brassel klar kommen muss. Der sich auch fragt, ob es das wirklich ist, was er will. Frau mit Ex und Kind? Ich meine, wir haben ja noch nicht genug Baustellen. Ach Leben, weißte was, dann komm halt her und gib uns die volle Dröhnung. Ist jetzt auch egal. 

Und du stellst fest, wie sehr du doch über deine Rollen definiert bist. Deine Etiketten dir gewisse Identitäten und Merkmale geben, die alles andere beeinflussen.

Und du stellst fest, wie sehr du doch über deine Rollen definiert bist. Deine Etiketten dir gewisse Identitäten und Merkmale geben, die alles andere beeinflussen.


Genau deshalb fand ich Patchwork immer doof. Bei anderen. Boah, wie anstrengend das sein muss. Und auf einmal bist du selbst mitten drin. Und dann steht da mein Sohn (Der sich im Übrigen am allerwenigsten eine Waffel um alles gemacht hat und macht. Vielleicht trauen wir unseren Kindern im Allgemeinem viel zu wenig zu?) an der Balkontür und ruft in Papis Wohnung rüber: „Papi, wir haben Brötchen und Croissants gemacht. Willst du zum Frühstück rüber kommen?“ Mein Kind stellt einfach die Fragen, über die wir Erwachsenen erst mal fünf Monate grübeln würden. Und natürlich kommt Papi rüber. Und wir frühstücken zusammen. Fuck. Crazy Patchwork Deluxe. Krass. Warum glauben wir so oft, dass genau das nicht geht? 

Die Hunde, die alle von verschiedenen Seiten mit in die Patchwork-Konstellation einbringen, sind genauso unbedarft. Die springen einfach mal in die andere Wohnung, kacken auf den Balkon vom Bald-Ex-Mann und man muss doch etwas kichern. Der Hund des neuen Partners, der ins Bett des Ex-Manns springt. Der Ex-Mann, der seine Wäsche waschen will (wir teilen uns eine Waschmaschine) und dem neuen Partner, verpennt im Pyjama, übern Weg läuft. Ja, es ist skurril. Aber warum ist das eigentlich skurril? Warum denken wir, dass das komisch ist? Weil es, in einer ordentlichen Gesellschaft, nicht so sein darf. 


Geht eine Welt kaputt? Nein, sie verändert sich nur. 

Bevor es soweit war, dass ich aussprechen konnte, mich von meinem Mann trennen zu wollen, gingen mir Gedanken durch den Kopf, die wohl jeder mit sich herum trägt, der in einer ähnlichen Situation steckt.

„Was ist mit dem Kind, nein, das kannst du ihm nicht zumuten, das, was hier alles ist, kaputt zu machen. Das Kind liebt diese Familie. Mach sie nicht kaputt.“ 

Ja, ich hatte davor Angst. Eine verdammte tierische Angst. Und stelle jetzt fest: Unsere Welt ist nicht kaputt gegangen. Sie hat sich nur verändert. Unser Sohn hat alles, was er vorher auch hatte. Zwei Eltern, die als Eltern funktionieren, okay miteinander umgehen und nach wie vor gemeinsam für ihn da sind. 

Die Welt unseres Sohnes ist nicht kaputt gegangen. Sie ist größer geworden. Er sieht seine Eltern wachsen und eine Situation meistern, die echt herausfordernd ist. Er lernt Krisenmanagement on the go. Er hat einen zweiten Hundekumpel bekommen, den er als seinen „besten Freund“ bezeichnet. Sein eigener Hund ist natürlich „sein Bruder“. In meinem Herzmenschen hat er einen Freund gefunden. Und noch so vieles mehr. 

Ist bei uns alles Friede, Freude, Eierkuchen? Ach Quatsch. Wir hatten alle die letzten Jahre über zu knabbern und zu kämpfen und uns zu hinterfragen, voreinander weg zu laufen, wieder zueinander finden. Es wurde zerstört und neu zusammen gesetzt. Wir hatten unsere Rollen und Identitäten zu hinterfragen. Wer sind wir und wenn ja, wie viele? Wollten wir alle schon mal das Handtuch schmeißen? Na klar. Waren wir alle auch schon genervt voneinander? Natürlich. Es ist wie das Leben: Ups and Downs. Es gibt gute Tage. Es gibt okaye Tage. Es gibt echt bekackte Tage. Es gibt Jammertage. Es gibt Pack-Ma´s-Tage. Es gibt unfassbar wunderschöne Tage.

Es braucht eine ganze Welt um uns herum, die uns diesen Weg gehen lässt. Die uns zugesteht, diesen Weg gehen zu dürfen. Ohne uns dafür zu be- und verurteilen. 

Was es für eine „gute Scheidung“ und eine witzige und halbwegs gut funktionierende Patchwork-Konstellation braucht, ist so viel mehr, als nur ein Ex-Paar, das beschließt, die Dramen möglichst klein zu halten. Es funktioniert nur dann so gut, wenn alle mitmachen. Und allen bewusst ist, dass jeder Einzelne in diesem Konstrukt ein wichtiges Rad am Wagen ist. Und alle bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen. Bereit sind, Kompromisse zu leben. Bereit sind, Egos hinten an zu stellen. Bereit sind, gemeinsam etwas zu gestalten, in der alle irgendwie einen Platz haben und alle diesen Platz auch haben dürfen. 

Und es braucht auch eine ganze Welt um uns herum, die uns diesen Weg gehen lässt. Die uns zugesteht, diesen Weg gehen zu dürfen. Ohne uns dafür zu be- und verurteilen. 

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.
— Dietrich Bonhoeffer

24. November 2023
Immer noch alles Friede, Freude, Eierkuchen?

Es sind dreieinhalb Jahre her, seitdem ich diesen Artikel geschrieben habe. Und natürlich ist seitdem viel passiert in unserem “Scheidungs-Patchwork-Wunderland”.

Es ist mehrere Male richtig eskaliert, es gab heftigste Krisen, Streits, Auseinandersetzungen, Konflikte. Trennungen. Wiederzusammenraufungen. Trennungen. Umzüge. Viele Veränderungen. Ganz neue Konstellationen. Und ganz oft “drei Schritte vor und zwei zurück”.

Der Sohn, der mittlerweile Fast-Teenie ist, und den das auch alles berührt und dem wir kein Heititei mehr vormachen können. Der sich mittlerweile sein eigenes Bild macht. Und ich nur dafür bete, dass wir es nicht völlig verkackt haben.

Das Gefühl von, ich dachte, wir sind doch längst durch alles durch – aber denkste, Pustekuchen, irgendwie immer wieder eingeholt werden von alten Wunden, Geschichten, Mustern, Emotionen, Verhalten, Triggern. Trotz aller Arbeit, trotz aller Hilfe, trotz aller Reflektionen völlig verstrickt drin sein. Und manchmal völlig verzweifelt, verzweifelt darüber, nicht zu wissen, wie man sich jemals daraus und davon befreien kann.

Und in the End ist auch das wohl einfach völlig normal. Wir sind Menschen. Wir strudeln, wir struggeln, wir kämpfen, manchmal jahrelang, manchmal jahrzehntelang, manchmal ein Leben, manchmal eine Liebe lang.

Und wenn wir wissen, dass es uns allen irgendwie irgendwo irgendwann so geht, ist es vielleicht gar nicht mehr so schlimm. Und wir brauchen uns dafür nicht zu schämen oder zu verstecken oder so tun, als hätten wir alles im Griff und als wäre alles in bester Ordnung.

Nein. Leben und Liebe ist Chaos. Und Chaos ist der natürliche Zustand der Welt.

Ich habe z.B. eine zeitlang mein Chaos vor meinen zwei besten Freundinnen versteckt. Nichts gesagt, nichts geteilt. Über Monate. Weil ich Angst hatte, sie würden mich verurteilen, dafür, dass ich so verstrickt bin in meinem ganzen messy mess, dass ich zu blöd bin, die richtigen Entscheidungen zu treffen und mich daran zu halten. Dass ich zu blauäugig oder zu schwach oder zu naiv bin. Diese Angst war vor allem auch deshalb da, weil ich selbst sehr gern mit harschem und harten Urteil um mich schieße, mit meiner Meinung nicht hinterm Berg halte, und kaum Geduld mit und Nerven für Menschen habe, die “ihren Scheiß” nicht geregelt bekommen. Und da stand ich nun, steckte selbst mitten drin, in meinem “Scheiß”.

Und dann, irgendwann ging es nicht mehr. Sie haben mitbekommen, was Sache ist. Und mich mit offenen Armen und Ohren aufgefangen. Nur Liebe, Verständnis, Mitgefühl und Empathie für mich. Kein Verurteilen. Kein Bewerten. Sondern Lachen, zusammen Weinen, und zu wissen, Hell yes, that´s life, that´s love. Und no one said, it would be easy. Und wir sitzen alle in diesem Boot. Alle im selben Boot. Wie befreiend das ist.

Und vielleicht können, sollen, dürfen und müssen wir uns und unseren Lieblingsmenschen auch einfach viel mehr von uns zumuten. Unsere ganze Palette. Unsere ganze Wahrheit. Unser ganzes Chaos. All unsere Widersprüche. All unsere Verstrickungen. Ohne Filter. Raw. Echt.

Und wenn wir uns alle gegenseitig dieses Chaos zugestehen, und uns nicht dafür gegenseitig fertig machen, vielleicht wird sie dann irgendwie auch einfacher und besser und schöner und liebevoller, diese Welt.

Graphic by AI, Midjourney


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