Menschsein ist komplex: Was wir von AppleTV´s Serien-Hit „The Morning Show“ lernen können

Von Staffel Eins an war und bin ich großer Fan der AppleTV-Serie „The Morning Show“. Zum einen, weil ich in meinen Zwanzigern selbst als Redakteurin bei verschiedenen TV-Sendern, Sendungen (darunter ebenfalls einer „Morning-Show“, RTL´s Punkt-9-Sendung) und Produktionsfirmen gearbeitet habe. Ich kannte also den ganzen Medien-Zirkus selbst nur zu gut. Zum anderen, ja, ich gebe es unumwunden zu, bin ich ein Fangirl von Jennifer Aniston und Rheese Witherspoon.

Die Serie ist großartig gemacht und inszeniert. Fantastische Schauspieler:innen, großartiges Storytelling - und von der Ausstattung und den aufwendigen Sets und Drehorten gar nicht erst zu reden.

Während es in Staffel eins vor allem um die Aufarbeitung eines MeToo-Skandals ging, setzte sich das Thema in Staffel zwei fort, in der dann auch die weltweite Corona-Pandemie thematisiert wurde. Alles gespickt mit zahlreichen thematischen Nebenschausplätzen und vielen persönlichen Verstrickungen der Protagonist:innen. Ja, es gibt sehr viel Drama. Und manchmal fand ich es auch alles ein bißchen zu viel des Guten, äh, „Bösen“. Manchmal war es mir zu schwer, zu viel. Und wenn gerade mal bei einem Protoagnisten, einer Protagonistin, alles Paletti lief, wusste man, das nächste Drama wartet schon um die nächste Drehbuchecke. Dennoch, einmal drin, konnte ich nicht mehr aussteigen. Ich suhlte mich auch irgendwie ein bißchen gern in all den menschlichen Dramen im glossy New Yorker Glitzersetting.

Das nächste Drama wartet schon um die nächste Drehbuchecke

In Staffel drei ging es als Haupthandlungsstrang um eine komplizierte und zunächst wirtschaftlich notwendige Übernahme des Traditionssenders UBA von einem Raketen-Heini-Tech-Milliardär. Parallelen zu Elon Musk oder Jeff Bezos waren sicher rein zufällig. Es wurden Fragen aufgeworfen, was ist Journalismus noch wert, wenn er von machtgierigen Empörkömmlingen gesteuert wird? Wie weit darf jede:r einzelne gehen für die Verteidigung seines Status Quo? Wie weit darf jede:r einzelne gehen mit persönlichen Karriereambitionen? Wie käuflich ist jede:r einzelne von uns?

Was mich, vor allem in Staffel drei, am intensivsten beschäftigt hat: wie komplex jede:r einzelne Protagonist:in dargestellt wurde. Und dass es einfach keinen eindeutig „Bösen“, keine eindeutig „Böse“ gab. Klar, könnte man auf den ersten Blick den Tech-Milliardär Paul Marks als Feind abstempeln. Oder Cory Ellison, den CEO von UBA, auf dessen Mist die Fusion erst gewachsen ist und der gar nicht (mehr) anders kann, als Machtspielchen zu inszenieren.

Aber so einfach ist es nicht. Und genau das ist es, was wir aus und von der Serie lernen können. Jeder Mensch ist komplex. Menschsein ist komplex. Extrem komplex. Kein Mensch ist ausschließlich gut oder ausschließlich böse. Jeder Mensch macht Fehler, immer wieder. Jeder Mensch hat Wunden, Schmerz, Ängste, Zweifel, Vergangenheit und eine Geschichte, die ihn und seine Entscheidungen und Haltungen immer prägen und beeinflussen. Und nicht immer, leider, zum Guten.

Kein Mensch tut ausschließlich immer das Richtige. Jeder Mensch verrennt sich, aus ureigenen persönlichen Gründen, immer wieder auch mal im völlig Falschen. Und versucht dann, panisch und verzweifelt, den Schein des Richtigen im Außen zu bewahren. Bis alles zusammen kracht. Jede:r von uns steckt in einer Gemengelage aus inneren Konflikten, ungelösten Knoten, Widersprüchlichkeiten und Zerrissenheiten fest. Jede:r von uns kämpft seinen ganz eigenen Kampf.

Jeder Mensch ist komplex. Menschsein ist komplex.

Sich genau dessen bewusst zu sein, ist wichtig. Wichtig in einer Welt, die so viel „von den anderen“ verlangt, fordert, erwartet. In einer Welt, in der bei jedem kleinsten Fehler Shitstürme und Empörungskaskaden ausgelöst und hochgeschaukelt werden, in der mit moralischen Zeigefingern auf die anderen geschossen wird. Unerbittlich und gnadenlos. In einer Welt, wo viel zu viele glauben, allein sie würden alles richtig machen. Und nur ihre Meinungen, Haltungen und Überzeugungen und ihre Art zu leben seien das einzig Wahre.

Sich dessen bewusst sein, ist wichtig. Wichtig, weil es Empathie und Verständnis mit sich bringt und erzeugt. Empathie und Verständnis dafür, dass wir alle Menschen sind. Komplexe Menschen. Und dass das Menschsein an sich facettenreich und verdammt herausfordernd ist. Widersprüchlich. Alles andere als perfekt. Und dass Menschsein vielleicht auch nie so gedacht wurde: Dass es nur schwarz oder weiß gibt, nur richtig oder falsch. Sondern dass wir alles sind.

Für mich gab es bei „The Morning Show“ keine einzige Figur, die ich vorbehaltlos „als gut“ oder „nur fies“ empfand. Alle Figuren waren wie eine Art „Formwandler“, jede der Figuren war alles. Jede der Charaktere hatte auf ihre eigene Art und Weise „Dreck am Stecken“. Jeder Charakter war in seine eigenen Geschichten und Zerrissenheiten verwickelt.

Jede:r stand zwischen Pflicht und Moral, eigenen Regeln, hatte eigene Geheimnisse. Und jede:r versuchte, das irgendwie zu handeln und damit fertig zu werden, und eigene Wege und Lösungen zu finden. Jede der Protagonist:innen balancierte auf dem Drahtseilakt zwischen richtig und falsch. Und jede:r stürzte irgendwann ab. Und jede:r kämpfte sich auch da wieder raus.

Jede der Protagonist:innen balancierte auf dem Drahtseilakt zwischen richtig und falsch. Und jede:r stürzte irgendwann ab.

Alex Levy, die sich nach einem Partner sehnt, dem sie vertrauen kann und was eigenes aufbauen will. Und bitter enttäuscht wird. Immer wieder.

Bradley Jackson, die nur ihre Familie beschützen will, und dafür ihren heiligen Journalisten-Kodex verraten und hintergehen muss. Und damit auch die Menschen, die sie liebt, in Bedrängnis bringt.

Paul Marks, der Tech-Milliardär, der ziemlich viel Mist baut und am Ende auch nur um Liebe kämpft und etwas Besonderes und Großes kreieren will. Vielleicht weil er nie erfahren durfte, dass er gar nichts Großes und Besonderes leisten muss, um geliebt zu werden.

Cory Ellison, der vermeintlich unerschütterliche und spitzfinge Sender-CEO, der einfach alles tut, damit UBA (und sein Posten) erhalten bleibt. Der aber vielleicht einfach nur einsam ist und die einzige Frau, die er liebt, es nicht ertragen kann, dass er sie so gesehen hat, wie sie wirklich ist. Und die genau davor Angst hat.

Stella Bak, die ambitionierte toughe Nachrichtenchefin. Knallhart. Und doch innerlich kaputt, zerstört, verunsichert und enttäuscht. Die zwischen dem, was für den Sender richtig ist und was für sie persönlich richtig ist, strauchelt. Entsetzlich die Szene, als sie sich selbst, eine unschuldige Kellnerin und alle Frauen stellvertretend für den Abschluss eines fetten Werbedeals mit ekligen selbstgefälligen Werbeheinis demütigt und verrät. Sie glaubt, sie hat alles im Griff, und dann entgleitet ihr die Kontrolle. Sie bricht zusammen.

Und immer wieder die Frage: Wofür reiben wir uns eigentlich im Beruf so furchtbar auf? Und für wen? Ist es all das … Wert?

Mia Jordan, die Producerin, die zwischen Liebe zu und Angst um einen Kriegsreporter und der Pflicht als Journalistin gefangen ist, Bilder on air zu zeigen, nicht wissend, ob er in Sicherheit ist.

Chris Hunter, die aufstrebende Moderatorin, die Haltung und Stellung beziehen will für all die wichtigen Diversity- und Feminismus-Themen, und dabei schnell an Grenzen kommt, bedroht und mundtot gemacht wird. Die das Richtige tun will, aber zu welchem Preis?

Chip Black, der Producer, der sich abrackert. Und fast daran verbricht, nie gesehen und wertgeschätzt zu werden.

Ich habe jeden einzelnen Charakter der Serie ins Herz geschlossen. Weil sie sind, wer sie sind. Und weil sie sind, wie sie sind. Und ihren Weg gehen. Straucheln, fallen, zweifeln, kämpfen. Und weiter machen. Nicht immer richtig. Nicht immer falsch. Aber immer als Mensch.


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