Warum die Welt keine „Business Punks“ und „Einhorn-Startups“ braucht

Schluss mit dem Hype um "Business Punks" und „Einhorn-Startups“: Die Welt braucht echte Werte.

Vor einiger Zeit bekam ich durch Zufall mal wieder seit langem die Zeitschrift „Business Punk“ in die Hände. Es war die Ausgabe 06/2023, cooles, schrilles Cover mit buntem Einhorn vorne drauf. „Deutschlands beste Einhörner“ und ein Ranking der 20 besten StartUps waren auch das Titelthema. Ich blätterte durch das Magazin und war ziemlich schnell ziemlich abgefuckt. Ja, ich schreibe das bewusst so rotzig. Mich hat das ganze Magazin unfassbar aggressiv gemacht. Denn es steht sinnbildlich für so vieles, was, wie ich finde, in unserer Welt einfach falsch läuft: Mehr Schein als Sein. Lass die Dinge cool und rockig und stylish aussehen (Oberfläche) - aber der Inhalt (Tiefe) ist uns völlig egal. Es ist die pure Verarsche. Es ist das Fürdummverkaufen. Es ist das Investement in die Oberfläche und das komplette Vernachlässigen des Inhalts. Und genau das ist es, woran unsere Welt derzeit so extrem krankt (Hallo Social Media). Ja, das Magazin kommt cool und stylish daher. Und laut und krakelig. Man kann da schnell mal durchblättern, alles große fette Letter, schrille Farben, viele Fotos, fette Headlines, auffällige Schrei-Bunt-Knall-Grafiken. Tja, und dann lies mal die Texte. Das Heft strotzt vor Satzbau- und Rechtschreibfehlern, man könnte zwei Abende Bingo damit spielen. Ich finde normalerweise diese Da-ist-aber-ein-Rechtschreibfehler-Korrintenkacker-Typen auch immer echt eklig, und nun mache ich das selber, aber es sind einfach SO viele Fehler in dem Magazin, und das wird so verkauft, ich finde das einfach eine Frechheit. Für sowas gibt es Schlussredakteur:innen, Lektor:innen und mittlerweile auch KI.

Apropos KI: Die vielen Fehler sind nicht alles. In dem besagten Heft gab es u.a. auch ein Gespräch zwischen dem britischen Premierminister Rishi Sunak und Elon Musk. Zukunftsfragen, KI und solche Themen, groß und impressionant auf mehrere Seiten verteilt. Ich dachte mir, hey, das ist ja spannend und interessant, lese ich. Und schon beim Lesen der ersten Zeilen merkte ich: Häh, das liest sich aber komisch. Niemand würde so sprechen. Alles ganz holprig und merkwürdig formuliert. Wirklich mega-strange. Ich lese weiter, und es bleibt so merkwürdig. Ich schaue vorne, wer ist denn der/die Redakteur:in von dem Text, keine Angabe. Und dann dämmerte es mir und diese Vermutung schlich sich ein: Man hat wohl eventuell das Gespräch der beiden, was tatsächlich als Video veröffentlicht ist, als Grundlage genommen, hat das ebenfalls bei YouTube veröffentlichte Transkript einfach kopiert, durch einen Übersetzer gejagt und das mehr oder weniger unbearbeitet, unlektoriert und ungeprüft so als Text ins Heft geschleudert. Unabhängig von der Frage, ob das überhaupt „genehmigt“ oder „erlaubt“ ist, Urheberrechtsfragen und so, stelle ich mir die Frage: Hat das niemand bei der „Business Punk“ gegen gelesen und bemerkt, dass der Text so nicht geht und eine Zumutung für jeden Leser, jede Leserin, ist? Oder war und ist den Business-Punk-Macher:innen das schlicht und ergreifend völlig egal? Hauptsache laut, Hauptsache Musk und Sunak, lass es groß und big und huge und very important aussehen, aber der Inhalt, der ist doch nun mal echt Wurscht. Liest vermutlich eh keiner in Zeiten von 10-Sekunden-Reels und einer mittlerweile menschlichen Aufmerksamkeitsspanne einer Drosophila.

Nichts gegen KI und ChatGPT und so. Auch ich nutze das Tool. Es ist wirklich eine großartige Hilfe. Aber die Betonung liegt auf „Hilfe“. Ja, auch ich stelle ChatGPT Fragen, lasse mir von dem Tool Texte strukturieren, Ideen liefern, bei der Recherche helfen und und und. Aber dann nehme ich mein Hirn in die Hand, prüfe, prüfe gegen, und arbeite alles mit MEINEN Inhalten, die aus meinem Hirn und meinem Herzen und meiner Seele kommen, um und ein. Und dann entstehen auch gute Texte und gute Inhalte. Gemeinsam mit KI.

Mit genau dieser „Uns-doch-egal-wir-verarschen-einfach-mal-die-Leser:innen-Außen-Hui-innen-Pfui-Haltung“ spiegelt das Magazin „Business Punk“ wieder, wofür es steht.


Mit genau dieser „Uns-doch-egal-wir-verarschen-einfach-mal-die-Leser:innen-Außen-Hui-innen-Pfui-Haltung“ spiegelt das Magazin „Business Punk“ wieder, wofür es steht. Für Einhörner. Für Hype. Für Schein statt Sein. Für Nach-uns-die-Sintflut. Für null Werte. Null Inhalte. Und null Interesse am Menschen, an Verbraucher:innen, an Kund:innen. Das großartige Wirtschafts-Magazin „Brand Eins“ (das auf allen Ebenen komplette Gegenteil der „Business Punk“) hat es 2021 im Artikel über Einhörner und das „Foie Grasing of StartUps“ auf den Punkt gebracht. Mit Kapital gestopfte Unternehmen sind selten Unternhehmen mit nachhaltigen und langristigen echten Werten. Es geht einzig und allein um die Illusion von Wachstum und natürlich um sehr viel Katsching bei Gründern und  Investoren. Hier gendere ich im Übrigen ganz bewusst nicht, denn allein bei den 20 gehypten deutschen Einhorn-StartUps in der besagten von mir kritisierten „Business Punk“-Ausgabe war nicht eine Gründung von Frauen dabei. Es gab, meine ich mich zu erinnern, zwei Gründungsteams mit jeweils einer Frau an Bord. Jetzt könnte man wieder an den Frauen rummäkeln, den fehlt das Gründer-Gen, die haben nicht genug Mut usw. Aber betrachten wir das Ganze doch mal anders: Vielleicht gründen Frauen lieber Unternehmen von und mit Wert? Vielleicht kümmern sich Frauen lieber um das, was wirklich zählt? Aber in den Dollarzeichen-bebrillten Augen der Investoren eben nach wie vor wertlos bleibt. Aber das ist ein anderes Thema.

Ich finde, die Welt braucht keine gestopften Einhorn-StartUps. Und erst recht keine „Business-Punks“. Die Welt braucht eher sowas wie „Business-Robin-Hoods“. Nein, keine Sorge, niemand muss sich in grüne Strumpfhosen quetschen, aber so ein bißchen Einsatz für Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Fairness, Diversität, Solidarität ist doch schon ganz sexy. By the way: Einhörner sind nicht existente Fabelwesen.

Aber für was steht denn eigentlich „Punk“?


Zum einen gibt es da die „subkulturelle Bewegung“. “Punk" war ursprünglich eine Subkultur und eine Musikbewegung, die in den späten 1970er Jahren entstand. Punk drückte eine Haltung der Rebellion gegen gesellschaftliche Normen, Autorität und Konventionen aus. Punkmusik war und ist oft roh, energiegeladen (oder sagen wir, ähm, schraddelig) und alles andere als „schön“ und glattgebügelt und gefällig. Auch die Punk-Mode war und ist ein symbolischer Stinkefinger, Ablehnung und Zunge-Raus-Strecken: Stacheln, Nieten, zerrissene Kleidung und „interessante, provokative“ Frisuren.

Und dann ist da noch die „philosophische Haltung“. Punk ist ein Synonym für eine allgemeine Haltung der Nonkonformität, des Anti-Establishments und der Selbstbestimmung. Es geht oft darum, sich gegenüber Mainstream- oder herrschenden Ideen zu behaupten und einen eigenen Weg zu gehen, unabhängig von gesellschaftlich akzeptierten Normen.

Der Begriff "Business Punk" verbindet nun Elemente der Punk-Subkultur und der „philosophischen Haltung“ dahinter mit unternehmerischem Denken und Handeln. Ein Business Punk ist also jemand, der die rebellische und DIY-Einstellung des Punk in die Geschäftswelt einbringt. Es geht darum, kreativ zu sein, Risiken einzugehen, traditionelle Geschäftsmodelle herauszufordern und eigene Wege zu gehen, um erfolgreich zu sein. Business Punks könnten sich zum Beispiel durch ihre Innovationsfreude, ihren Mut zum Risiko und ihre Ablehnung traditioneller Hierarchien und Geschäftspraktiken auszeichnen.

Das klingt doch eigentlich gar nicht so schlecht, oder?

Jedoch: In einer Welt, die von einem ständigen Trommelfeuer aus Marketingstrategien und scheinbar revolutionären Ideen bombardiert wird, werden wir immer wieder mit dem Mythos der "Business Punks" und Einhorn-Startups konfrontiert. Sie präsentieren sich als die neuen, crazy, disruptiven Helden des Unternehmertums. Aber schauen wir doch mal unter die dünnen Schleier.

Business Punks, die selbsternannten Pioniere des Geschäftslebens preisen die Idee an, den Status quo herauszufordern und die Regeln neu zu schreiben. Yeah! Doch in Wahrheit geht es ihnen nur um eines: Profit. Ihr Credo lautet nicht "Gemeinschaft" oder "Innovation", sondern "Mehr, mehr, mehr", koste es, was es wolle. Doch was bleibt von ihrer glorreichen Revolution übrig? Ausgebeutete Arbeitskräfte, ausgehöhlte Gemeinschaften und eine Umwelt, die an den Rand des Kollapses getrieben wird. Innovation-Washing at its best.

Und dann die Einhorn-Startups, diese glänzenden Fantasien, die als die Zukunft des Unternehmertums gefeiert werden. Doch während sie mit ihren bunten Logos und ihren milliardenschweren Bewertungen prahlen, stellt sich die Frage: Wo ist der wirkliche, echte, relevante Wert? Diese Unternehmen mögen vielleicht wie magische Kreaturen erscheinen, aber ihr Zauber verblasst schnell, wenn man sieht, dass ihr Erfolg auf einem fragilen Fundament aus Spekulation, Gier, Hype und FOMO beruht.

Business Punk ist so 2000er


Können wir bitte den Mythos der "Business Punks" und Einhorn-Startups entlarven und uns auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist? Es ist an der Zeit, dass wir uns von dieser geblendeten Faszination für Oberflächlichkeit und Profitgier lösen und uns auf das konzentrieren, was wirklich zählt und was wirklich extrem wichtig ist, wenn wir unseren Hintern hier auf Erden noch retten wollen: echte Werte. Wir brauchen Unternehmen und Führungspersönlichkeiten, die sich nicht nur auf den nächsten Quartalsbericht konzentrieren, sondern auf die langfristigen Auswirkungen ihres Handelns auf Gesellschaft, (Um)Welt und Menschen.

Statt Business Punks brauchen wir Führungskräfte und Persönlichkeiten, die den Mut haben, die Herausforderungen unserer Zeit anzugehen, statt sich hinter leeren Phrasen zu verstecken. Wir brauchen Menschen, die sich für Nachhaltigkeit, Solidarität und Gerechtigkeit einsetzen, nicht nur als bloße Schlagworte, sondern als grundlegende Prinzipien ihres Handelns.

Wir brauchen Unternehmen, die nicht nur Gewinne maximieren, sondern auch einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten wollen. Unternehmen, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der Umwelt und den Menschen bewusst sind, und die bereit sind, dafür anzutreten, eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft zu schaffen.

Wo wir solche Menschen und Unternehmen finden? Zum Beispiel stellt das wunderbare Magazin brand eins mit seiner fantastischen Redaktion immer wieder genau solche Persönlichkeiten und Unternehmen vor. Und es liegt einzig und allein an uns, zu entscheiden, an welchen „Rolemodels“ wir uns orientieren wollen.

P.S. Die Grafiken hat die AI Midjourney gemacht. Prompt was: “Business Punk riding an unicorn.” Ich musste bei den Kreationen sehr, sehr lachen. Ich fand die alle ziemlich witzig.

 

Henriette Frädrichs Speech zum Thema: Make gute Absichten great (again) !


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