California State of Mind – ein Reisebericht (Teil 1)

Da sitze ich also. Im Flieger nach Los Angeles. Allein. Knapp 2 Wochen werde ich mich durch California treiben lassen. Allein. Einfach so. Ohne Plan. Ohne To-Do´s. Just go with the flow und schauen, was der Tag so bringt. Das alles ziemlich sehr spontan. 

Mein Leben flüstert mir zu: Du musst da hin! Jetzt. Sofort.

California ist eines meiner Schon-Immer-Sehnsuchts-Ziele. California und ich, irgendwie ist da was, wir haben da was am Laufen. Und erst vor wenigen Tagen flüsterte mir mein Leben zu, ich muss da hin. Sofort. Allein. Einfach mal in ein anderes Lebensgefühl schlüpfen, in ein anderes Leben eintauchen, ein anderes Leben anziehen. Aus dem einen und anderen Grund.

Die Vernunft-Stimme im Kopf, die mir sagen will „aber du kannst doch nicht einfach, viel zu teuer, klemm dich doch besser hinter den Schreibtisch und mach Marketing für dein Business, sei fleißig, und überhaupt, kommt dein Sohn 2 Wochen ohne dich klar?!“ wird sehr schnell sehr leise, als ich die Flugpreise googele und diese erstaunlich günstig sind. Da bin ich schon teurer von Köln nach München geflogen. Ich buche. Innerhalb von Sekunden. Und die Sache ist geritzt. Es ist ein Impuls, dem ich einfach folge. Ich habe ein fettes Glückskeks-Grinsen im Gesicht und ein süßes Glückskeks-Gefühl im Bauch. Und das ist so viel stärker als jede mahnende Vernunft-Stimme im Kopf. Und mein Sohn dazu nur, als ich ihm davon erzähle, „Amerika? Cool!“ und dann ist der Drops auch schon gelutscht. Und natürlich kommt er wunderbar ohne mich klar. Er ist in besten Händen. 
 

Lesson 1: Gründe dagegen gibt es immer tausende. Sie verpuffen aber erstaunlich schnell, wenn man einfach macht.
 

Andere recherchieren erst vor Ort und schreiben dann. Ich mache es andersrum. 

Meine Hingezogenheit zu California geht sogar so weit, dass ich vor einigen Jahren einen Roman dort habe spielen lassen. In „Honeymoon mit mir“ lasse ich die Protagonistin allein einen Roadtrip durch California machen. Auch wenn ich vorher schon mal in California war, habe ich die meisten Orte, an denen sich die Hauptperson in dem Buch tummelt, ergoogelt und mir einfach vorgestellt, wie es da wohl sein könnte. Ich bin sozusagen virtuell durch den sexy Westküsten-Staat gereist und habe darüber geschrieben, ohne eigentlich wirklich da gewesen zu sein. Und schon damals, beim Schreiben, dachte ich immer wieder, verdammt, ich muss diese Tour, oder zumindest Teile davon, wirklich mal selbst machen! Und genau das tue ich jetzt. Andere recherchieren erst vor Ort und schreiben dann. Nun, ich mache es eben andersrum. 

Es ist vor allem ein Ort, der mich magisch anzieht und der mir seit Schreiben meines Buches nicht mehr aus dem Kopf geht, den ich damals bei den Recherchen zu „Honeymoon mit mir“ durch Zufall entdeckt habe: Ojai. Ein winziges Örtchen im Ojai-Valley, ca. 30 Kilometer von der Küste Höhe Santa Barbara / Ventura entfernt. Ich muss nach Ojai, flüstert mir mein Bauch leise aber dringlich zu. Und ich höre auf meinen Bauch. 

Der 12 Stunden-Flug vergeht wie, haha, im Flug. Ein Transatlantik-Flug ist immer eine Raum-Zeit-Reise, man steigt ein und kommt zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort wieder raus. Zeit im Flugzeug fühlt sich auch ganz anders an, es ist alles so unwirklich. Man schwebt, im wahrsten sinne, über den Dingen, gehört mal eben kurz nicht mehr zur Welt. 

Als ich in L.A. lande, bin ich fast 24 Stunden wach. Plus 9 Stunden Zeitverschiebung. Der Trumpsche Einreise-Prozess (der schon mit extra-langen Security-Checks in FFM beginnt) dauert fast 2 Stunden, ich lasse ihn, zusammen mit gefühlt 600 anderen wartenden Menschen, stoisch über mich ergehen und frage mich, was Loriot wohl hier und da kommentiert hätte. Ordner in Uniformen öffnen und schließen nach einem nicht durchschaubaren Prinzip Durchgänge und lotsen die Menschenmasse irgendwie durch den Check. Ob sie selber wissen, was sie da tun? 

Bis ich mit meinem Koffer in meinem Mietwagen sitze, vergehen nochmal 1,5 Stunden. Ich bin jetzt seit fast 26 Stunden wach, und frage mich, wie ich es in dem Zustand allein mit meiner Karre aus der L.A.-Rush-Hour auf 5 spurigen Highways raus schaffen und noch 2 Stunden nach Ojai fahren soll. „Ich schaff´ das!“, motiviere ich mich selbst, rede mir gut zu und fahre einfach los. Schon nach 3 Minuten baue ich fast einen Unfall, weil ich mit dem Navi nicht zurecht komme. Und beömmel mich über mich selbst. Ich ärgere mich noch etwas über die Auto-Vermietung, wo ich mir eine völlig überflüssige Zusatzversicherung und ein, wie sich erst später heraus stellen wird, völlig überflüssiges und unzuverlässiges Extra-Navi habe aufschwatzen lassen. Mehrkosten 300,00 $. Andererseis war ich in meinem desolaten Reizüberflutungs-Übermüdungs-Transatlantik-Überquerungs-Zustand auch nicht zu Protest in der Lage, und ich war überhaupt heilfroh, dass man mir überhaupt einen Wagen gegeben hat, weil ich tatsächlich noch mit meinem völlig veralteten rosa Teenager-Führerschein-Lappen ankam, in dem auch noch mein alter Pre-Hochzeits-Name drin steht, mit dem ich aber gar nicht gebucht hatte. 

Ich hätte unglaublich gern auch so einen riesigen PickUp, die sind so verdammt sexy!

Ich erreiche den Highway und obwohl ich im Stau stehe, feiere ich alles um mich herum. In L.A. im Stau ist halt schon ein bisschen geiler als im Stau auf der A3 Höhe Montabaur. Ich feiere die fetten Trucks und die coolen PickUps. Ich hätte so unglaublich gern auch so einen riesigen PickUp, die sind so unglaublich sexy! Gab´s bei der Autovermietung nur leider nicht. Ich feiere die coolen Nummernschilder, ich feiere die Werbeplakate, ich feiere den Radio-Sender, der California-Roadtrip-kompatible Mega-Musik spielt und ich gröle zu Prince´s „Purple Rain“ und „More than Feeling“ von Boston laut mit. Glück durchströmt mich. Vielleicht ist es aber auch einfach nur ein Highsein, weil 26 Stunden wach. Ich lasse L.A. hinter mir, der Highway ist frei, und ich brettere ihn mit Ami-Max-Geschwindigkeit von 65mph und mit runtergelassenem Fenster entlang. Ich quietsche und juchze vor Glück. Allein schon für diesen Moment hat sich die Reise gelohnt. Dass ich gerade bei schönstem Wetter durch California cruise, kommt mir immer noch total surreal vor. In Deutschland ein Autofahr-Muffel, macht es mir hier so einen Spaß, einfach nur zu fahren. 

Überhaupt, die nächsten Tage sitze ich viel im Auto und fahre einfach ohne Ziel und Plan durch die Gegend, gucke, staune, bewundere, alles – und ich liebe es. Ich liebe die Berge, den blauen Himmel, das Meer direkt neben mir, wenn es auf dem Highway One lang geht, dem berühmten Pacific Coast Drive, ich liebe die Straßenschilder, die so vielversprechende und sexy klingende Namen haben wie „Montecito“, „Camarillo“, „Ventura“, „Summerland“, „Carpinteria“. Ich liebe die Mega-Ranches, an denen ich vorbei cruise, satte grüne Wiesen eingezäunt von strahlend weißen Zäunen, mit riesigen mondänen Tor-Einfahrten mit XXL-Namensschildern, auf denen stolz prangt „Black Mountain Ranch“ oder „Thousand Oaks Ranch“, und ich finde das alles so unfassbar sexy. That´s so Denver Clan, that´s so TV-Show-mäßig, alles sieht aus wie im Fernsehen, und ich bin mitten drin. Ich amüsiere mich über mich selbst, dass ich mich wie so ein kleines Kind über dieses Amerika freue. 

Überhaupt, darf man Amerika eigentlich heute noch cool finden? Es ist ja gerade schwer en vogue, Amerika per se einfach mal doof zu finden. Aber ich kann mich diesem Amerika-Spirit hier nicht entziehen. Ich stehe so sehr auf das alles, und ja, man kann sagen, mir geht voll einer ab. Ich bin mir schon fast selbst etwas peinlich. 

Nach fast 2 Stunden erreiche ich „mein Ojai“. Ich kenne Ojai aus meiner Vorstellung, den Google-Recherchen und aus der Story in meinem Buch schon in und auswendig. Denke ich.
 

Denn Lesson Nr. 2: Alles ist in echt immer anders als du denkst oder es auf Bildern erscheint. 
 

Als ich durch Ojai fahre, durch die Straße mit den weißen Bogen-Arkaden und dem kleinen Türmchen, fühlt es sich strange an. Ich fahre durch das Bild, das ich online schon so oft gesehen habe. Ich will, dass sich alles genau so anfühlt, wie ich dachte, dass es sich anfühlen wird. Aber das tut es nicht. Es ist eher ein „Aha. Das ist jetzt also dieses Ojai.“ Ich fühle nichts. Außer Erschöpfung und die Frage, ob Ojai wirklich so toll ist, wie ich dachte und ob das nicht eine dämliche Idee war, mich hier in diesem 08/15-Nest fast 10 Tage einzuquartieren. Ich will zu viel auf einmal. Will alles sofort begreifen und erfühlen. Und vergesse dabei das Wesentliche: 
 

Lesson Nr. 3: Hab keine Erwartungen. Pack nicht gleich alles in Schubladen, und beurteile und bewerte alles sofort. Lass alles auf dich zukommen. Gib den Dingen Zeit, sich zu zeigen und sich zu entwickeln. Hab Geduld. Hab Vertrauen. 


Und das tut Ojai. Ich weiß es nur noch nicht. Es zieht mich schnell in seinen magischen Bann und muss auch gar nicht viel dafür tun. Das einzige, was ich dafür tun muss: Nichts tun. Nichts denken. Mich einfach treiben lassen. Und einfach nur SEIN. 

Für die ersten Tage habe ich mich in einem Airbnb bei Marika und Todd eingebucht, dem ich einfach nicht widerstehen konnte, als ich online darüber gestolpert bin. Die Bilder sahen zu bezaubernd aus. Und als auf fast jedem Bild auch noch mehrere Französische Bulldoggen rumhüpfen, ist es für mich, selbst „Mama“ eines Frenchies, geschehen, und ich habe schon gebucht, ehe ich überhaupt Wuff sagen kann. Ich komme dort völlig übermüdet aber grinsend wie ein Breitmaulfrosch und irgendwie Reise-high an. Der Weg zu meinem Airbnb führt durch leere Straßen, links und rechts von Orangen- und Mandarinen-Bäumen gesäumt. Ojai ist bekannt für seine Pixies (Mandarinen). Ich bin entzückt. Total.

Andere bekommen Begrüßungs-Sekt, ich bekomme Begrüßungs-Welpen.

Die beiden Gastgeber begrüßen mich herzlich, und mit ihnen eine Bande von 5 großen Frenchies, und, juhu, 6 Welpen, die sich über Besuch jeglicher Art mehr als ausgelassen freuen. Andere bekommen Begrüßungs-Sekt, ich bekomme 6 Begrüßungs-French-Bulldogg-Welpen, die sich wild auf mich stürzen und ich gar nicht weiß, wen ich zu erst knuddeln und knutschen will. I´m in heaven, denke ich verzückt. „You can take the doggies or one of them as often you want and cuddle and play with them. You can also take them to your bed, if you like“, erklärt mir Marika, meine French-Bulldog-züchtende Ojai-Gastgeberin. Ich grinse selig. Sie zeigt mir mein Zimmer, samt eigenem kleinen Patio-Balkon, der raus auf den verwunschenen Garten geht und dem mit Fluss-Steinen selbst designten Badezimmer. Alles unglaublich individuell und wirklich schön. Wer will noch in anonyme, kalte 08/15-Lieblos-Hotels, wenn er sowas bekommen kann? 

Ich schaue nach draußen und sehe Berge. Es ist April, früher Abend, die Sonne geht fast unter und taucht alles in ein leuchtendes rosa Licht. Der berühmte Pink Moment von Ojai

Ich bin seit fast 30 Stunden wach. Stürze mich auf die von Marika bereit gestellten Snacks (Nüsse, Pixies, Organic Nut-Bar), springe unter die Dusche, whatsappe nach Hause, und falle ins Bett. Ich bekomme Besuch von Katze Trishy, die mir die nächsten Tage nicht von der Seite weicht, sobald ich „zu Hause“ bin. Die gerne duscht, mit Erdbeeren spielt und mir meinen Joghurt wegschleckt.  Ich träume in der ersten Nacht ziemlich intensiv von etwas, was ich mir sehr wünsche, und das sich so real anfühlt, dass ich es im ersten Moment glaube, dass es wirklich passiert ist, als ich aufwache. Ich wache um 3 Uhr morgens auf, meine innere Uhr ist auf 12 Uhr mittag. Es ist absolut dunkel und absolut still. Höre nur das Blätter-Rauschen der riesigen alten Eiche im Garten und hier und da das zarte Klimpern der vielen Windspiele, die überall hängen. Ich brauche ein paar Momente, um zu realisieren, wo ich bin. 

Mein Vernunfts-Ich will Pläne schmieden, aber ich vertraue dem Flow und darauf, einfach loszumarschieren und zu schauen, was sich so ergibt.

Am nächsten Morgen beginnt mein Ojai-Flow. Ich fahre „Downtown“, sofern ein 8000-Seelen-Örtchen ein Downtown hat, parke irgendwo und laufe einfach drauf los. Habe keinen Zeitdruck, keine To-Do´s, keine Pläne. Schlendere, schaue, gucke, beobachte. Mein Vernunfts-Ich will Pläne schmieden, aber ich vertraue dem Flow und darauf, einfach loszumarschieren und zu schauen, was sich so ergibt. Und es muss sich ja auch nichts ergeben. Wir wollen immer, dass sich etwas ergibt, alles immer ergiebig ist, aber vielleicht darf auch etwas einfach nur mal sein. Ohne Plan, ohne Ziel, ohne Resultat. Einfach nur sein, darum geht es. 

Ich verordne mir selbst eine Food-Challenge. Alle Läden durchprobieren, niemals den gleichen. Ich futtere mich in den nächsten Tagen durch alle möglichen Buden durch, Smoothie-Bowl-Bar Trueblend", den Hippie-Hipster-Organic-Markt The Farmer and the Cook“, The Nest, das Traditions-Haus Ojai Cafe Emporium, in der Ojai Beverage Company (hier gibt es jeden, wirklich jeden Alkohol der Welt. Noch nie so viele volle Regale mit Alkohohl auf einem Platz gesehen)  Revel Kombucha, Deer Lodge, Harmonic Foods und und und.

Der nächste heiße Trend-Shit, der in Sachen Food nach Europa schwappen wird, wird definitiv Kombucha sein, den gibt es hier in allen Varianten, aus dem Fass, mit Zusätzen wie Aktiv-Kohle, und sogar mit Alkohol, und, der gute alte Rosenkohl, den man hier „sprouts“ nennt und knusprig frittiert mit Trüffel-Öl und Parmesan serviert. 

Ich laufe und laufe und laufe. Durch den Ort. Durch Mandarinen- und Avocado-Baum-Plantagen. Ein unglaublich schöner Duft liegt in der Luft. Ich bewundere all die Ami-Häuser mit ihren kleinen Verandas davor, die aussehen wie im Film, was so skurril ist, weil es hier eben alles echt ist. 

Ich gehe wandern, oder wie man es hier nennt: Hiken. Es gibt ein riesiges Netz von Hiking-Trails. Zu Hause in Deutschland würde ich nie auf die Idee kommen zu wandern. Als Kind musste ich oft wandern gehen mit den Eltern. Ich fand das immer doof. Und hier liebe ich es. Überhaupt, on the road und far, far, away macht man so viele Dinge, die man sonst zu Hause nie macht. Ich nehme mir Zeit, schaue hin, beobachte, staune, bin neugierig, bewundere. In diesem Zustand bin ich zu Hause so gut wie nie, alles zieht nur unwahrgenommen und langweilig an mir vorbei. Ich mache so viele Fotos. Halte Momente fest. Überhaupt mache ich so viele Fotos. Ich bin sonst eher ein Fotomuffel. Und ich mache viele Selfies. Sehr viele. Muss ich ja. Wer allein reist, avanciert zur Selfie-Queen. Ich freue mich. Ich sauge einfach alles auf. Die Atmosphäre, die Gespräche der Leute, sehe Details, die sich sonst nie sehen würde. Es ist, als würde ich ganz klar sehen und alles. Als wäre ein Nebel-Schleier weg. 
 

Lesson 4: Nimm die neugierigen Reise-Augen mit nach Hause und schau wieder hin im Alltag. Fotografiere. Nimm wahr. Freu dich. Und geh wandern. 

Ich habe noch nie so wenig gedacht wie in den Tagen, in denen ich mich einfach nur durch Ojai habe treiben lassen.


Ich lasse mich treiben, und stelle ziemlich schnell fest, dass auch so ein Tag ziemlich schnell rum geht, ohne dass ich je das Gefühl habe, mir ist langweilig. Im Gegenteil. Ich bin voll mit Eindrücken. Ich habe zig Bücher, Filme auf dem iPad und Hörbücher im iPhone mit dabei, und in meinem Zimmer wartet ein riesiger Fernseher mit 100 Ami-Programmen und Netflix. Nicht ein einziges Mal rühre ich auch nur eins davon an. Ich will keinen Input in meine Birne packen, ich habe genug Input vom Tag, all die Bilder und Beobachtungen und Eindrücke. Ich habe auch was zum Schreiben mitgenommen, ich wollte schreiben, aber ich will nicht. Als wäre ich total abgekoppelt und schwebend im leeren Raum. Ein Grund meiner Reise war auch, vielleicht über das eine oder andere nachzudenken, Dinge zu Papier zu bringen, ein paar Dinge zu klären, Themen zu ordnen, Lösungen finden, mich mit dem einen oder anderen auseinander zu setzen. Aber ich horche in mich rein, und da ist: Nichts. Einfach nichts. Da will nichts auseinander gesetzt werden. Keine Gedanken. Da ist einfach nur Glück und Ruhe und Stille. Es ist, als würde ich mich leer machen. Wie in dem berühmten Zen-Gleichnis mit der überlaufenden Tee-Tasse. Sonst oft nachdenklich und grüblerisch, ist das alles hier einfach weg. Ohne zutun. Einfach so. Ohne Yoga, ohne Om, ohne Meditation. Effortless, wie man hier sagt, völlig ohne Anstrengung, mühelos. Ich habe noch nie so wenig gedacht wie in den Tagen, in denen ich mich einfach nur durch Ojai habe treiben lassen. Und es fühlt sich gut an. So gut. Ich muss lachen, als ich meine ganze Bücher sehe und feststelle, dass ich sie gerade nicht brauche und gerade auch nicht will. Aber das konnte mein kofferpackendes auf Nummer sicher gehendes Ich vor ein paar Tagen ja nicht ahnen. Bzw. ahnen schon, nur darauf vertrauen nicht. 
 

Lesson 5: Vertrau darauf, dass du viel weniger brauchst als du immer denkst. In jeglicher Hinsicht. 
 

Lesson 6: Lass dich öfter treiben. Auch zu Hause im Alltag. Keine Pläne, keine Musts, keine Listen. Mehr Go with the Flow statt To-Do´s. Und lass dich vom Leben überraschen, was es dir so vorbei bringt. 


In den Tagen in Ojai mache ich nichts wirklich besonderes. Ich schaue einfach, was der Tag bringt, fahre oder laufe rum, und doch bin ich in einem ganz besonderen Zustand. In dem des ganz einfach glücklich sein. Ich denke an die Glücks-Definition aus Mo Gawdats Buch „Die Formel für Glück“, das mich nachhaltig beeindruckt und geflasht hat. Er beschreibt darin, dass wir alle nach Glück suchen und jagen, denken, wir müssten dafür ganz viel tun oder erreichen, aber das ist ein Trugschluss. Denn wir sind von Natur aus glücklich. Es ist unser Grundzustand. Wir merken es nur nicht, weil auf unserem natürlichen Glückszustand zig schwere Brocken aus Sorgen, Gedanken, unbeantworteten Fragen und Gedöns drauf liegt. Unser Glück liegt darunter begraben, und wir vergessen das, und glauben irgendwann, dass dieser Schwere-Brocken-Zustand normal und unser Grundzustand ist. Dann machen wir uns auf die Suche, dabei ist das Glück immer da. Wir müssen nur die Brocken weg räumen bzw. da runter schauen. Und genau das erlebe ich auf meiner Reise. Ich bin glücklich. Brockenfrei. Einfach so. Dabei mache ich nichts, was man normalerweise so macht, wenn man das Glück sucht. Kein Yoga, keine Meditation (und davon könnte man sehr viel im „Spiritual Silicon Valley“, wie Ojai auch genannt wird, machen). Dieser ganze Gedankensalat im Kopf ist einfach weg. Und wo keine Gedanken, da keine Gefühle. Weder schlechte noch gute. Ich bin einfach. Und das ist ein irrer Zustand. Frieden, Ruhe, Sein. Wie mit einem Katapult in andere Sphären geschossen. Es ist irgendwie alles egal. Aber positiv und gut egal. Und alles ist genau gut so wie es ist. 

Das doofe: Als ich wieder zu Hause bin, merke ich, wie sich kleine Brocken langsam wieder auf mein Glück drauf rollen wollen. Als würde mich das Katapult wieder mit Vollkaracho zurück beamen. 


Lesson 7: Alltag und Offroad unterwegs zu sein sind eben doch zwei völlig verschiedene Paar Schuh. Nichtsdestotrotz möchte ich versuchen, das eine oder andere California-Freedom-Gefühl in meinen Alltag zu importieren. Und mich immer wieder daran erinnern, dass unter den Brocken das Glück liegt. Einfach so. 


Ich schlendere 2 Stunden durch den Westridge Market, einen amerikanischen Supermarkt, und bestaune alles, als wär ich auf Mars-Expedition. Im Ausland im Supermarkt ist einfach immer wie Wonderland. 

Ich wundere mich, dass, obwohl hier so viel Wert auf organic und green und sustainable gelegt wird, immer noch alles in Wegwerf-Plastik-Bechern und Plastik-Geschirr serviert wird, obwohl man inhouse isst. Ich nenne mich Hannah, wenn jemand bei der Kaffee-Bestellung nach meinem Namen fragt, weil Henriette immer für Verwirrung sucht. Ich bin irritiert von den manchmal sehr, sehr alten Kassiererinnen und Kassierern an der Supermarktkasse, ein Bild, was sich bisher in Deutschland mir noch nie geboten hat, die sehr müde und sehr erschöpft ihre Arbeit machen. Auch das ist Amerika. Fröhliches Rentnerdasein ist nicht jedem vergönnt. 

Ich komme mit einem Kerl namens Sean ins Gespräch, Ende Zwanzig, und er ist völlig hinüber. Er war mal Ingenieur bei der Army, war in Kriegsgebieten in Afghanistan, und ist durch die ständigen Detonationen fast taub, andere Verletzungen lassen ihn humpeln und ein Daumen fehlt ihm. Er ist in Frührente, mit Ende 20. Er schläft nur 4 Stunden die Nacht. Und nimmt jeden Tag eine ganze Armada an Medikamenten, um die Schmerzen, körperlich und psychisch, zu betäuben. Er kauft sich im Supermarkt Whiskey. Ich will nicht wissen, wie viel er davon intus hat. Er sagt ziemlich viele kluge, smarte und intelligente Dinge, und dennoch rollen seine Augen immer wieder weg, er lallt, ist kaum zu verstehen, was wohl an dem Cocktail aus Medikamenten, Whiskey und ständigem Schlafentzug liegt. Er lebt in einer Mobile-Home-Siedlung außerhalb Ojais, hat 5 Schwestern, ist geschieden und hat 2 kleine Kids, die er mir stolz auf seinem Handy zeigt. Was man alles in wenigen Minuten über Menschen erfahren kann, wenn man sich einfach mal dazu setzt und ein paar Fragen stellt. Er sagt, er vermisst die Army, das sei die beste Zeit seines Lebens gewesen. Die Army hat sein Leben zerstört, finde ich. Und auch das ist wohl Amerika. 

Ich lasse mir in einem richtig kitschigen Friseur-Salon names „Delilah“, mit hell-lila Plissées an der Decke die Haare aufhübschen und auch hier beobachte ich einfach nur fasziniert. Meine Friseurin Liz ist ein Herz von einem Menschen, so sweet. Wir plappern drauf los. Ihr Kollege ist ein richtiges Klatsch- und Tratsch-Waschweib, er lästert mit seinen Kundinnen über Promis und TV-Shows. Es kommen zwei richtig alte Ami-Ladies in den Salon, die sich ihre spärlichen Locken neu legen lassen, und auch hier lausche ich fasziniert den Gesprächen. Die Ladies, weit über 70, sind richtig adrett heraus geputzt. Man begrüßt sich herzlich, man scherzt, man plaudert, man kennt sich. Ich sauge das alles auf.

Ich fühle mich wie Harry Potter in seinem Unsichtbarkeitsumhang.

Am Abend traue ich mich dann mal unter die Leute. Tagsüber ist es völlig unkompliziert und easy, allein unterwegs zu sein, auch allein in Kaffees oder Restaurants zu sitzen. Und ich genieße das total. Aber abends sieht die Sache schon anders aus. Da ist es schon strange, zumindest empfinde ich es so, sich als Frau allein irgendwo hin zu setzen. Bisher war ich abends immer happy, allein in meinem magic Airbnb, früh ins Bett, viel geschlafen. Aber irgendwann kommt doch der Rappel. Ich suche mir die Deer Lodge aus, da gibt es Live-Musik, vielleicht macht das die Sache etwas einfacher, sich unters Volk zu mischen, wenn man eine Aufgabe – Musik hören – hat. Ich fahre einige Meilen, und die Deer Lodge ist so eine richtige Lodge an der Landstraße, wie man es aus Quentin Tarantino Filmen kennt. Rustikal, Holz, viel Trubel, und alles unglaublich Amerikanisch. Ich komme mir zwischen all den Menschen, die paar- und grüppchenweise dort sind, schon etwas verloren vor. Starren die mich alle an? An der Bar bestelle ich mir einen Wein, und stehe dann irgendwie wie Falschgeld in der Menge rum. Die Band spielt noch nicht. Ich habe Hunger, aber es gibt keinen freien Platz für mich. Irgendwann hat die Waitress Mitleid mit mir und setzt mich allein an einen riesigen Tisch. Ich sage ihr, sie kann ruhig andere Leute, die auch auf einen Tisch warten, neben mir platzieren, I don´t mind, aber irgendwie bleibt mein Tisch leer. Wahrscheinlich bin ich denen zu suspekt. Ich mampfe mein Essen, und tue das, was ich die ganzen Tage schon so gerne tue: Ich entspanne mich, höre den Gesprächen um mich herum zu, schnappe Gedanken und Worte der anderen auf, ein schwitzender und beleibter Mann um die 50 textet die Frau gegenüber mit seinen Frauengeschichten zu, ein Paar ruft bei Oma an und es gibt viel für ein anstehendes Barbecue zu klären. Ich fühle mich wie Harry Potter in seinem Unsichtbarkeitsumhang. Ich mache dennoch offensichtlich einen so mitleidenserregenden EIndruck, dass ich mein Essen nicht bezahlen muss. Die Kellnerin schenkt es mir. Ich bin trotzdem stolz auf mich, dass ich abends alleine aus war, und es ausgehalten habe, entspannt allein in einer Menschen-Masse zu essen und Weinchen zu trinken. Und nein, es wollte sich niemand mit mir unterhalten. Und ich bin jetzt auch nicht gerade die Small-Talk-Königin, die sich einfach irgendwo dazu stellt, und sagt: Haaaalllloooo, hier bin ich, red und spiel mit mir. Und es war trotzdem gut so. Die Band fängt irgendwann an zu spielen. Sie spielen Jazz. Es ist irgendein bekannter Jazz-Musiker, der schon mit zig berühmten Bands on Tour war. Ich stelle wiederholt fest: Ich mag Jazz gar nicht. Und fand es trotzdem gut, dem ganzen eine Chance gegeben zu haben. 


Lesson 8: Öfter alleine ausgehen. Auch abends. Auch zu Hause. Überhaupt, viel mehr Dinge tun, die man sonst nicht tun würde. Do one thing that scares you every day. 


Der Zufall will es, dass Byron Katie eine öffentliche „The Work“-Session genau dann macht, als ich in Ojai bin. In Ojai steht das Zentrum von „The Work“. Byron Katie ist Bestseller-Autorin weltweit und sowas wie ein „Selbsthilfe-Guru“. Ihre Methode „The Work“ ist eine simple aber effektive Methode, um doofe Gedanken zu hinterfragen, zu entlarven und aufzulösen. Ich bin Fan von ihr und dieser Methode und lasse mir das Event natürlich nicht entgehen. Die ganze Session wird live bei Facebook gestreamt, hier und da sieht man mich sogar im Publikum sitzen. Es ist eine schöne, ruhige, besonder Atmosphäre, mit tollen Menschen, die alle letztlich gleiche oder ähnliche Gedanken- und Gefühlsklöpse haben, die es aufzulösen gilt. Ich mache heimlich Fotos, was eigentlich nicht erlaubt ist, nur als Katie dann wahrlich keine 3 Meter vor mir sitzt, traue ich mich nicht mehr. Die Session mit Byron Katie bewegt und berührt mich.

Jeden Sonntag ist „Farmers Market“ in Ojai. Man munkelt, hier und da Promis aus der Hollywood-A-Liga entspannt über den Markt flanieren gesehen zu haben, überhaupt haben viele Promis im Ojai-Valley ihre Zweit- oder Dritt-Anwesen. Kann ich verstehen. Ist schön da. Auf dem Farmers Market erlebt man Ojai, wie es ist. Lässig und irgendwie Hippie. Öko-Bauern aus der Gegend haben ihre kleinen Stände aufgebaut, alles ist ganz unprätentiös. An jeder Ecke steht ein Cowboy-Kerl, der auf seiner Gitarre klimpert und dazu singt. Ein alter Mann bietet „Free Hugs“ an, eine alte Frau im Rollstuhl mit Hippiekleid und Hippiefrisur spielt auf einem Digeridoo. Eine schwangere Frau mit Dreadlocks kommt mir entgegen, sie hat nur einen langen Batikrock an und ein Bustier. Der dicke Baby-Bauch hängt nackig einfach so raus. Ich schlendere auch hier einfach nur rüber, schaue, gucke, beobachte, sauge auf. 

Den Rest des Tages bin ich hackestramm. Von zwei Gläsern Wein in der Sonne.

Überhaupt ist Sonntag ziemlich lässig, alle Families sind on Tour, die Restaurants und Cafés sind voll. Ich setze mich in den kleinen Garten des „Majestic Oak Vineyard Tasting Rooms“, überhaupt gibt es hier sehr viele Wineries, Kalifornien ist schon lange kein Geheim-Weinanbau-Gebiet mehr, hole mir erst einen weißen, dann einen roten Wein, sitze Nachmittags um 2 in der prallen Sonne, und höre Chelsea Williams zu. Jeden Sonntag Nachmittag gibt es Gratis-Live-Musik in dem Tasting-Room. Ich bin sehr angetan von Chelsea Williams, Singer-Songwriterin mit Herz, so sweet, so sympathisch, so echt, so authentisch, und wirklich tolle Songs und eine wunderschöne Stimme. Ich merke, wie mir der Wein langsam zu Kopf steigt. Um nicht zu sagen, ich bin rappelvoll. Es gesellen sich vier in Ojai lebende gut gelaunte Ladies zu mir, wir kommen ins Gespräch, sie finden es „amazing“, dass ich allein in Ojai unterwegs bin. „My husband would never have allowed me to travel alone“, sagt eine der Damen. Dann sagt eine andere „Yeah, and that´s the reason that he´s not your hubby anymore!“, dann lachen alle drauf los und wir prosten uns zu. Sie erzählen mir, dass sie zusammen in einer WG leben seit sie geschieden sind, mit ihren Kindern, und dass das „really awesome“ sei und so viel besser als ihre Ehen davor. „So you´re a little Hippie-Community“, sage ich, und sie lachen. Den Rest des Tages bin ich hackestramm. Von 2 Gläsern Wein in der Sonne. So kann man einen Sonntag auch ziemlich gut verbringen. 
 

Lesson 9: Es gibt nicht das eine Lebens-Modell. Alles ist möglich. Jederzeit. 


Auf meinen Streifzügen durch Ojai laufe ich immer wieder am „The Mob Shop“ vorbei, einem Fahrrad-Laden. Draußen vor der Tür steht ein Schild mit „Bike Rentals & Bike Tours“. Zu Hause fahre ich nie Rad, aber ich folge dem Impuls, der einfach plötzlich da ist, und schon stehe ich in dem Laden drin. „Hi, I´m Chris, how can I help you?“, werde ich sofort begrüßt. Und aus mir platzt raus, ohne dass ich großartig vorher nachgedacht hätte: „I want to book a bike tour.“ Und keine 20 Minuten später habe ich 2 Fahrrad-Touren gebucht. Eine Tages-Tour zum Beach nach Ventura und eine kleinere 3h-Tour durchs Ojai-Valley. 

Für die kleine Tour begleitet mich Guide Brent. Brent ist Lehrer, lebt in der Nähe von Ventura und macht Bike-Tours immer mal wieder nebenbei. Brent ist ein hervorragender Guide, er erzählt mir alles, wirklich alles über Ojai. Geschichte und Vergangenheit – es wurde von einem deutschen Einwanderer namens Nordhoff gegründet, und lange hieß das Örtchen auch so. Bis, nun ja, alles, was deutsch klang, nicht mehr so wirklich angesagt war. Dann benannte man es in Ojai um, was „Mond“ bedeutet. Er erklärt mir, dass die vielen Steinmauern um die Pixie-Plantagen knapp 400 Jahre alt sind und warum sie da stehen. Ich lerne, dass Ojai keinen Wachstum hat, nichts neues gebaut werden darf, eine ganz bewusste Entscheidung der Bürger und Politiker dort, um Ojai so klein zu halten und die besondere Atmosphäre dort zu bewahren. Außergewöhnlich für Amerika, wo es doch sonst dort immer höher, schneller, weiter und immer mehr heißt. Und das erklärt auch, warum die Haus-Preise dort immer weiter steigen. Brent lotst mich auch zur Ojai Olive Oil Company, einer Olivenbaum-Plantage, die Organic Olive Oil herstellen, alles von Hand pflücken, kalt pressen. Wir testen uns durch die vielen leckeren Öle und sie sind köstlich.



Im zweiten Teil: Wie ich per Zufall zu meiner ersten Surf-Lesson komme und warum Surf-Opas einfach nur cool sind. 

Im dritten Teil: Wie ich von einem Sheriff gejagt werde, der Umzug in ein magisches heart-warming Bed&Breakfast mit Frosch-Konzert, ein verzauberter Outdoor-Buchladen, die große Dankbarkeit für die Firefighter - und dass man überhaupt eines der größten Feuer der Geschichte überstanden hat, Tarot-Karten die mir die Zukunft bzw. meine momentane Situation deuten, warum ich von Santa Barbara nicht wirklich angetan bin, ich fast meinen Rückflug verpasse uvm.