Henriette Frädrich

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California State of Mind - ein Reisebericht (Teil 3)

Nach einigen Tagen in meinem Magic-Welpen-AirBnB ziehe ich um. Das hatte ich auch genau so geplant, einige der wenigen Dinge, die ich für meinen Trip wirklich geplant hatte. Ich wollte unbedingt wissen, wie es im „Lavender Inn“, einem gemütlichen Bed & Breakfast, wirklich ist. In meinem Roman „Honeymoon mit mir“ habe ich die Protagonistin dort einige Zeit im „Lavender Inn“ wohnen und sie dort eine coole und schöne Zeit haben lassen. Ich war neugierig. Ist es dort wirklich so toll, wie ich es mir ausgemalt hatte? Ich schlüpfte mal eben in meine eigene Roman-Figur. Wobei, das tat ich ja schon seit einigen Tagen. Ein bißchen. 

Als ich mein AirBnB verlasse, bin ich tatsächlich ein ganz klein wenig wehmütig. Auch wenn es nur sechs Tage waren, habe ich mich dort einfach nur wohl gefühlt. Ich habe noch immer, Wochen danach, das leise, zarte Kling-Klang-Klong der Windspiele im Ohr, die dort immer zu hören waren, auch nachts. 
 

Lesson 14: Ich staune immer wieder, wie schnell man sich an etwas gewöhnen und es lieb haben kann. 


Als ich ins Lavender Inn einchecke, fühlt es sich erst mal komisch an. Aber aus der Motivationspsychologie kenne ich dieses strange Gefühl, und beschreibe das auch in meinen Vorträgen: Wann immer wir einen Seins-Zustand verändern (wollen oder müssen), gerät erst mal alles durcheinander. Wir sind in einem Zwischen-Step gefangen. Das alte Vertraute verlassen, sich an das neue Ungewohnte gewöhnen. Dazwischen ist so eine Lücke, so ein Gefühls-Gap. Und die fühlt sich komisch an. Das einzige, was man da machen kann: Aushalten. Und dem ganzen ein wenig Zeit geben. Und dann staunen, wie schnell man sich an doch an das neue gewöhnt. Das ist jetzt beim Umzug von einem Hotel in ein anderes ein etwas weit hergeholtes Beispiel, aber doch, man kann das tatsächlich auf alles mögliche übertragen.  

Ich werde im Lavender Inn herzlich begrüßt, und es ist wirklich ein Haus, in dem man sich auf der Stelle wohl fühlt. Es hat was britisches. Toller gemütlicher Style. Und ein „Women lead business“. Das Lavender Inn hat eine spannende Historie, die bis 1874 zurück geht, das Gebäude war u.a. Ojais erste Schule. 

Ich habe ein super schönes Zimmer gebucht, alle Zimmer sind individuell eingerichtet, keins gleicht dem anderen, und ich teile mir das Bad mit dem Gast eines anderen Zimmers. Mein „Roomate“ ist eine ältere Dame, ich schätze sie auf Ende 60, Anfang 70. Wir begegnen uns abends im Flur, sie lunst aus ihrem Zimmer, und fragt mich, wann ich aufstehe am nächsten Morgen, damit es nicht zu Bad-Benutzungs-Kollisionen kommt. Sie ist total sweet und freut sich: „So, we two are roomates!“ Und ich: „Yeah! Should we have a crazy roomates-party tonight?“ Sie lacht herzlich. 

Alles im Lavender Inn ist magisch. Eine warme, herzliche, weiche, relaxte, friedliche, liebevolle, sorgenfreie und irgendwie weibliche Atmosphäre. Weiblich in seiner schönsten Bedeutung. Es hat einen großen Garten mit kleinen Sitzecken, Hängematten, Bänken, und einem kleinen Teich. Wenn es dunkel ist, ist alles von vielen kleinen Laternen und Lampions erleuchtet. Mein Mädchen-Kitsch-Romance-Herz geht sowas von auf. Abends geben irgendwelche Mini-Frösche, die man kaum sehen kann, ein ohrenbetäubendes Konzert. Unglaublich, wie laut Frösche sein können. Ich hänge abends in der Hängematte ab, und der schwarze Haus-Kater „Mister“ leistet mir dabei Gesellschaft. 

Am Morgen gibt es ein selbst gemachtes Frühstück. Und auch das Lavender Inn zeigt, wie vieles in Ojai, eine gewisse untypische Amerika-Mentalität. Statt viel und billig, hauptsache Masse, hauptsache Quantität, gibt es wenig, aber das in einer absoluten hochklassigen Qualität und mit Herz und Liebe der Damen vom Lavender Inn in der Küche, die alle Gäste begehen können, zuberereitet. Am Küchentisch sitzt der kleine Sohn der Köchin bei seinem Frühstück, er schaut mit Kopfhörern Ipad, während seine Mutter kocht. Die Szenerie kommt mir bekannt vor. Bei uns zu Hause geht es ähnlich zu. Alles findet an unserem Küchentisch statt. Mein Sohn spielt, malt oder guckt Ipad, während ich koche. 

Das Frühstück schmeckt unglaublich gut, ich könnte jubilieren. Wie von Mama oder Oma gekocht, eine Quiche, gebratenes Gemüse, Bratkartoffeln, Joghurt, home-made Granola und frische Beeren. Das ist alles. Simpel. Einfach. Und doch so gut. Kein überbordenes Buffett mit abgepackter Industrie-Scheiße, wie in so vielen Hotels. Und das wenige, das es dort gibt, ist so unfassbar lecker. Man schmeckt die guten Zutaten, die Liebe, mit der alles zubereitet wurde. Und das Wenige, aber so Gute, reicht. Vollkommen. 
 

Lesson 15: Vielleicht ist das eine, oder sogar DIE, Glücksformel, für alle Lebensbereiche: Von allem etwas weniger, aber dafür das wenige richtig gut. 
 

Wenn man Abends „Downtown“ Ojai verlässt, ist es unfassbar schwarz und dunkel. Man ertrinkt und verschwindet in der Nacht. Ich habe noch nie so eine Dunkelheit erlebt. Sie schluckt einen. Umhüllt. Ich bin eigentlich, was Dunkelheit angeht, ein echter Schisser. Schick mich nachts in ´nen Wald, und ich sterbe vor Angst. Aber hier in Ojai schmiegt sich die Nacht ganz weich um mich. Das klingt total kitschig, aber genauso fühlte es sich an. Statt Angst fühle ich Geborgenheit. Und über allem thront, fast wie zur Belohnung, dass man diese Dunkelheit aushält, ein sagenhafter Sternenhimmel. Ich erzähle das Brent, meinem Guide meiner ersten Rad-Tour, und er erzählt mir, dass es in Ojai tatsächlich Auflagen gegen die Lichtverschmutzung gibt. Außerhalb des Ortskerns gibt es absichtlich keine Straßenbeleuchtung und andere Lichtquellen, wie Leucht-Reklame-Tafeln, die ja eigentlich auch so typisch amerikanisch sind. 
 

Lesson 16: Absolute Dunkelheit ist schön. Und weich. 
 

Nur ein paar Meter zu Fuß vom Lavender Inn entdecke ich Bart´s Books - einen verwunschenen Buchladen nicht von dieser Welt. Es ist ein Outdoor-Hippie-Buchladen durch und durch. Die vielen Regale stehen, bis auf einige Ausnahmen im freien, große Segeltücher schützen vor Sonne und dem seltenen Regen. Ich kann nicht glauben, dass es solche Orte wirklich gibt. Ich schlendere fast zwei Stunden durch Bart´s Books und bestaune all die vielen tausend Bücher zu allen erdenklichen Themen. Ich würde so gern einen ganzen Stapel mitnehmen, aber ich denke an meinen Rückflug und mein begrenztes Koffergewichtskontingent. Und eigentlich sind es auch nicht nur die Bücher, die mich Bücherwurm in ihren Bann ziehen, es ist die ganze Atmosphäre dort. Rund um Bart´s Books außen sind Bücherregale, in denen hunderte Bücher am Straßenrand stehen und jeder sich, auch wenn der Laden geschlossen ist, dort Bücher einfach nehmen kann. Die Bücher kosten wenige Cent, die man einfach in eine Coin-Dose an der Tür schmeißt.

Es gibt viele kleine Garten-Lese-Ecken, an einem Garten-Tisch sitzt ein Opa mit Cowboy-Sonnen-Hut, der seinem ca. vierjährigen Enkel aus einem Kinderbuch vorliest. Ich könnte die beiden ewig beobachten und die Szene rührt mich. Von weitem mache ich heimlich ein Foto. Es ist vormittag, Opa, Enkel und ich sind die einzigen Kunden. Auf dem Kassentisch macht sich eine Katze auf der Tastatur des Computers breit. Zwei Angestellte, oder sind es die Inhaber, wuseln geschäftig, aber dennoch entspannt rum, packen Bücher-Kisten aus und sortieren. Ein älterer Herr bringt eine Kiste mit alten Büchern vorbei. Ich erkunde auch das wenige Laden-Innere, die riesige Kochbuch-Abteilung ist in einer alten verstaubten Küche untergebracht. Und ich finde das einfach nur entzückend. Irgendwie fehlt nur noch Dornröschen, die hier irgendwo in einer Ecke liegt und schläft, und ein Prinz, der ihr aus tausend Büchern vorliest, bis sie aufwacht. 

Wie schon in Teil 1 dieses kleinen Reiseberichts erwähnt, setze ich mich einfach ab und zu in meine kleine Miet-Karren-Schüssel und fahre ohne Ziel und Plan einfach los. Immer wieder zieht es mich zum Highway One runter an die Küste, aber genauso schön sind die kurvigen Touren durchs Landesinnere, durch die Berge, Felder, Wiesen und Ranches. Fenster runter, Wind flattert mir laut um die Ohren, Glück. Mein Glücksgefühl wird jäh unterbrochen, als ich auf einmal hinter mir, wie im Film, einen Cop/Officer/Sheriff, oder wie auch immer man die Kollegen hier auch nennt, in seinem Police-Wagen sehe. Die Sirene heult, die Anzeige blinkt rot, und ich denke, ach du Scheiße! Was habe ich denn angestellt?! Die Gedanken rattern durch meinen Kopf. Mir fällt ein, dass ich nur diesen alten komischen Führerschein dabei habe, und habe ich meinen Kram gerade überhaupt dabei? Ich sehe mich schon in einer Dorfzelle sitzen, gefangen im kalifornischen Hinterland. Etwas Panik steigt in mir auf, bin ich zu schnell gefahren? Und wo um alles in der Welt soll ich anhalten? Es gibt auf der Serpentinen-Strecke, auf der ich gerade fahre, keine Haltebuchten und keinen Platz um anzuhalten. Und anhalten muss man doch, oder? Zumindest ist das in den Ami-Filmen doch immer so.

Der Polizei-Wagen hinter mir blinkt und heult immer noch. Fuck! Trotz all der Panik blitzt ein frecher und dreister Gedanke auf: Wäre das jetzt ein geiles Selfie, ich in meiner Karre, und hinter mir die rot-blinkende US-Sheriff-Karre! Nun, ähm, das lasse ich dann lieber doch. Dann erscheint am rechten Straßenrand endlich eine kleine Haltebucht. Ich fahre drauf und mache mich nun auf alles mögliche gefasst. Und was passiert? Nichts! Der Sheriff rast einfach an mir vorbei! Im ersten Moment bin ich erleichtert, im zweiten schon fast etwas beleidigt. Mein rebellious Jane-Bond-Hirn hatte sich doch schon die abenteuerlichsten Szenen ausgemalt! Ich muss lachen. Vor allem über mich selbst. Ich fahre weiter, und nach wenigen Meilen sehe ich den Grund, warum ich, vermeinlich, von einem Sheriff gejagt wurde. Es gab einen kleinen Auffahr-Unfall auf der Strecke. Nichts schlimmes, nur Blech-Schaden. Aber trotzdem musste natürlich ein Mann in Uniform hier alles regeln. Trotzdem werde ich den Moment, wo ein sirenenheulendes und blinkendes US-Police-Car hinter mir auftauchte nicht so schnell vergessen. Und verdammt, scheiß drauf, ich hätte dieses Selfie doch machen sollen! 

Woran man in Ojai (und dem Rest des Ventura- und Santa Barbara-Counties) nicht vorbei kommt, ist die Konfrontation mit einem der größten und verheerendsten Feuer der Geschichte, dem Thomas Fire, das dort von Dezember 2017 bis Januar 2018 wütete, gefolgt von schweren Schlammlawinen, die vor allem die Gegend um Montecito und Santa Barbara zerstörten. Ojai ist im letzten Moment mit einem blauen Auge davon gekommen. Die Flammen haben etliche Häuser und Landstriche außerhalb des Ortskerns zerstört, Downtown Ojai war eingekesselt von Flammen. Und es kommt einem Wunder gleich, dass die Feuerwehrmänner das Feuer rund um Ojai so in den Griff bekamen, dass es gerettet werden konnte. Wenn ich es richtig verstanden habe, legten sie rund um Ojai Konter-Feuer. Denn dort, wo bereits alles niedergebrannt ist, kann es nicht weiter brennen. Ich googele die Bilder und bin schockiert. Wo ich gerade gemütlich meinem Go-with-the-Flow nachgehe, herrschte noch vor wenigen Wochen die absolute Katastrophe. Jeder, den ich danach frage, erzählt mir seine Geschichte, was er während des Feuers erlebt hat, wie die Evakuierung war. Auch in meinem Welpen-AirBnB stehe ich vor dem Fenster, schaue begeistert raus auf die Berge dahinter, und Marika erzählt mir, dass noch vor einigen Wochen dort alles in Flammen stand, sie ihr Haus verlassen mussten und davon ausgegangen sind, bei ihrer Rückkehr nur noch Schutt und Asche vorzufinden. Sie hatten Glück. Unfassbares Glück. 

Die Dankbarkeit, diese Katastrophe überlebt zu haben, spürt man in Ojai überall. In den Shops und auf den Plakaten hängen überall „Ojai Strong!“ Plakate, sowie Plakate mit „Thank you Ojai Fire Fighters for rescuing our home town!“ Es gibt zig Spenden-Aktionen, Donate Ojai, um denen zu helfen, mit denen das Feuer keine Gnade hatte. In allen lokalen Zeitungen und Zeitschriften geht es immer wieder um das Feuer und wie man der Zerstörung Herr wird, wenn alle zusammen halten. „We´re still standing, Ojai Strong“, liest man überall.

Während meiner diversen Hiking-, Biking- und Road-Touren sehe ich die vielen kahlen und schwarzen Landstriche in den Bergen und Feldern. Verkohlte Bäume. Und dazwischen und auf dem Boden zartes Grün. Die Natur erholt sich erstaunlich schnell. Durch verbrannte Erde wagt sich das Neue durch und gibt Hoffnung. Ich habe Elton Johns „Circle of Life“ im Ohr. Mir ist bewusst, dass dieses Argument wenig Trost bietet für jemanden, der gerade sein Haus und all sein Hab und Gut verloren hat, aber in einem der Artikel über das Feuer lese ich, dass für die Natur so ein Feuer eigentlich gar nicht so verheerend sei. Altes wird abgebrannt und macht Platz für Neues. 
 

Lesson 16: Manchmal muss etwas altes zerstört werden, damit etwas neues entstehen kann.

Lesson 17: Manchmal braucht es eine Katastrophe, damit eine ohnehin schon sehr freundliche Gemeinde noch näher zusammen rückt. 


Ojai ist auch „Spiritual Silicon Valley“ bekannt. Man kann hier alles mögliche tun, was das Eso- und Spiri-Herz so begehrt, es gibt nichts, was es hier nicht gibt. Ich nehme davon nichts in Anspruch, außer die schon in Teil 1 beschriebene Session mit Byron Katie. Bei meinen Schlendereien durch Ojai laufe ich immer wieder an einem kleinem Klimbim-Laden vorbei, vor der Tür ein Schild mit „Card Reading“. Immer wieder frage ich mich, soll ich? Soll ich mir mal die Karten legen lassen? Einfach so, aus Jux? Immer wieder schüttele ich aber den Kopf, sage mir „Ach nein, so ein Quatsch!“, und gehe weiter. An meinem letzten Ojai-Tag, bevor ich für die letzten Tage meines Trips weiter ans Meer nach Santa Barbara fahre, laufe ich wieder an dem Laden vorbei. Bevor mich mein inneres Selbstgespräch wieder zum zweifeln und weiter gehen zwingt, fasse ich mir ein Herz, gebe mir einen Ruck und schon stehe ich in dem Laden. Ich überrumpele mich sozusagen selbst.

Der Laden ist leer, niemand ist da. Ich schaue mich um, es gibt allerhand Lifestyle-Interiour-Kram, Mädchen-Kram halt, Bücher, Kerzen, Hippie-Klamotten. Im Hintergrund läuft ein unbekannter Song, den ich aber sofort erkenne, er ist in meiner Spotify-Playlist. Krass, denke ich, dass gerade jetzt dieser Song spielt, und ich den kenne. Ist das ein Zeichen? Ein Zeichen, dass es richtig ist, hier zu sein? Ich greife intuitiv nach einem kleinen lila Buch, mit dem Titel „Barefoot at heart - The Alchemy of Love and the Power of Light“, von Sandy Jones. Ich blättere darin, und die Textstellen, die ich per Zufall erhasche, sprechen mich sofort an. „Hello my dear, welcome, how do you like my book?“ sagt eine herzliche und freundliche Stimme hinter mir. Und da steht sie, die Autorin des Buches, das ich gerade per Zufall in den Händen halte, und der offensichtlich der Laden gehört. Ich gucke verdutzt. „Das ist Ihr Buch?“ frage ich. Sie lacht. Sie ist eine ältere Lady, ich schätze so Anfang 60, unglaublich herzlich, sie strahlt, sie sieht toll aus, gar nicht wie eine Eso-Tante im Walle-Gewand. Ich mag sie sofort. Sie fragt mich, ob sie mir helfen kann, und ich druckse rum, und sage, dass ich mich nur ein wenig umschauen möchte. Warum bringe ich es nicht über die Lippen, dass ich mir gerne die Karten legen lassen möchte?! Ich schlendere noch etwas betont unbeteiligt in dem Laden, tue so, als würden mich die Kerzen und Geschirttücher wirklich brennend interessieren, und in meinem Kopf hämmert es: Los, jetzt, verdammt! Frag sie! 

Nach einer Weile platze ich dann endlich damit raus: „Ähhh, I want to do the card reading!“. „Yes, sure!“ Sandy Jones lächelt überrascht. Vielleicht spielt sie die Überraschung aber auch nur und wusste oder spürte schon längst, was ich eigentlich wirklich wollte. Sie geht kurz in einen kleinen Hinterraum, bereitet alles vor, wir einigen uns auf eine Zeit und den entsprechenden Preis, und dann geht es auch schon los. Der Raum ist klein und dunkel, heimelig und gemütlich. Wir nehmen an einem kleinen Tisch Platz, sitzen uns gegenüber. Sie erklärt mir, dass Tarot Karten nicht die Zukunft voraus sagen, aber dabei helfen können, bestimmte Fragen zu beantworten oder Situationen zu analysieren. Eigentlich ist es sowas wie ein Coaching-Gespräch. Sie sagt, ich kann eine konkrete Frage stellen, oder ich kann die Karten auch einfach ohne Fragen für sich sprechen lassen.

Ich habe viele Fragen im Kopf, entscheide mich dann aber für die zweite Variante. Bin neugierig, was die Karten zu sagen haben. Ich soll Sandy erst mal nichts darüber erzählen, was mir auf der Seele brennt, lediglich meinen Namen und mein Sternzeichen soll ich nennen. Und dann geht es auch schon los. Schon die allererste Karte trifft ins Schwarze, ohne dass ich auch nur irgendwas gesagt habe. Ich bin perplex und überrascht. Mein Herz klopft. 

Sandy legt in 30 Minuten Karte über Karte auf den Tisch, und auf dem Tisch breitet sich genau die Situation aus, in der ich gerade stecke. Nach einer Weile bittet sie mich, das ganze zu kommentieren, und ich rücke raus damit. Sandy legt Karte um Karte, und wir dröseln meine Situation auf. Wir reden viel, und es ist ein warmes, herzliches Gespräch. Es ist wider Erwarten gar nicht komisch, mit jemandem völlig fremden über das, was mich innerlich so sehr seit so langem beschäftigt und herausfordert, zu sprechen.

Es ist, als sollte ich genau an diesem Tag hier sein, und es ist, als würde Sandy genau die Messages für mich haben, die ich schon lange weiß, aber mich nicht traue, daran zu glauben. Es fließen ein paar Tränen, mich bewegt das alles sehr. Natürlich nagen auch Zweifel: Alle Karten kann man in jede Richtung interpretieren, und sagt Sandy die Dinge, die sie sagt, nur weil sie weiß, dass ich genau das hören will? Ich schiebe diese Mimimi-Stimmen beiseite und nehme mir das zu Herzen, was die Kern-Message von dieser kleinen Session ist, und was ich doch auch schon längst weiß: 


Lesson 18: Hör auf dein Herz. Alles wird gut. Und lebe das Leben in all seinen wunderbaren Facetten. 
 

Ich kaufe Sandys Buch und entdecke, dass sie das Meer und das Surfen und den Sommer und das Leben liebt. Sie verbreitet den geistigen Nachlass ihres Mentors William Samuel, einem relativ unbekannten Philosophen, dessen Bücher und Theorien ich nun auch stückweise kennen lerne. 

Ich verlasse Sandys kleine Mystik-Oase völlig benommen. Und heule auf offener Straße, während die kalifornische Sonne einfach unbeeindruckt weiter scheint.

Nach meinem mir selbst verordneten Ojai-Retreat gönne ich mir für die letzten drei Tage meines California-Trips noch Santa Barbara. Santa Barbara soll ja mega super toll sein. Das Gefühl, einen Ort zu verlassen, der noch vor wenigen Tagen völlig fremd war und jetzt so vertraut ist, ist strange. Tschüss, Ojai. 

Ich fahre auf einer kleinen Serpentinen-Straße die ca. 30 Meilen bis nach Santa Barbara runter, Berg rauf und runter, vorbei am Lake Casitas, tollste Natur. Dann ein kurzes Stück auf den Highway, und dann bin ich auch schon da. In Santa Barbara. Einer wohlhabenden US-amerikanischen Kleinstadt am Meer. 

Ich fahre zu meinem Hotel, das ich von Ojai aus gebucht hatte. Ich habe mich gegen ein AirBnB entschieden, weil mich das Hotel Milo total angelacht hat. Es wurde als kleines, schickes Boutique-Hotel angeboten. Als ich dort ankomme, bin ich zum ersten Mal total ernüchtert und ja, enttäuscht und irgendwie auch sauer. Es ist ein riesiger Hotel-Komplex, alles groß, lieblos, anonym. Ich bin zu verwöhnt von meinem individuellen Magic-Welpen-AirBnB und dem verzauberten Lavender Inn. Es gibt zig Dinge, über die ich mich bei diesem Hotel (was auf den Bildern im Web wirklich ganz schön aussieht) beschweren könnte, und was dort alles doof war, aber ich hasse diesen Mimimi-Zustand. Ich überlege tatsächlich kurz, mich doch noch kurzfristig in ein AirBnB einzubuchen, aber der Aufwand ist mir doch zu groß und das Zimmer ist nicht stornierbar. Und so dicke habe ich es dann auch nicht, einfach mal ein paar hundert Euro in den Wind zu schießen. Nur wegen Bad Vibes. Und ich erinnere mich selbst daran, dass es eben auch einfach wieder etwas Zeit braucht, mich an die neue Situation zu gewöhnen. 
 

Lesson 19: Amerikanische Hotels sind doof. Mimimi. 
 

Trotzdem werde ich in den drei Tagen nicht mit Santa Barbara warm. Es ist eigentlich eine sehr kleine Stadt, aber ich war in Ojai in den Bergen so von dem dort herrschenden Dorf-Idyll eingelullt, dass mich Santa Barbara richtig überfordert. Jeder, der schon mal da war, lacht mich jetzt sicher aus, aber ich fand Santa Barbara stressig, laut, nervig, hektisch. Auch wird man dort wieder mit der realen Welt konfroniert. Während in Ojai jeder irgendwie nett und freundlich ist, man soviel Zeit wie man will überall verbringen kann, alles sauber und ordentlich ist, und alle Menschen dort ein Dach über dem Kopf haben, ticken die Uhren in SB anders. In Straßen-Cafés stehen Hinweis-Schilder, die daran erinnern, doch bitte nach 30 Minuten zu gehen, wenn man nichts mehr konsumiert. Überall ist nur Valet-Parking möglich, für mindestens 30 Dollar am Tag. Auf den Straßen pöbeln und schreien verwirrte und verirrte Seelen laut rum. Ich hole mir in einem Laden einen Smoothie, und während ich warte, holt sich eine andere Kundin ihren Smoothie ab, der scheint aber nicht so zu sein, wie sie ihn bestellt hat, sie beschwert sich laut, dreht sich auf dem Absatz um, und knallt den unangerührten Smoothie wütend in den Müll. Keifend verlässt sie den Laden. Alter, was ist hier los?!, frage ich mich. Mein Ojai-Love-Peace-und-Happiness-Herz blutet. Ich will zurück in mein Ojai, heule ich innerlich.

Ich schlendere die berühmte State-Street entlang, bin aber von den ganzen Geschäften und den dort arbeitenden nur genervten Angestellte nur genervt. Ich gehe am Strand lang, und wenn man den richtigen Bild-Ausschnitt wählt, sieht es auch ganz nett aus, aber links und rechts ist vieles völlig schmutzig und voller Müll. Ich gehe auf den berühmten Pier, die Stearns Wharf, weil man das eben so macht in SB, und denke, AHA. Ich habe einen melancholischen Moment, vermisse, heule. 

Ich bereue meine Entscheidung, meine letzten drei Tage nun in Santa Barbara fristen zu müssen, ich finde hier alles doof und frage mich, wie ich die Zeit nur rumkriegen soll. Ja, es ist ein hartes Leben, gefangen in Santa Barbara, ich weiß, First World Problems, Mimimi. Und ich komme mir selbst auch ziemlich doof dabei vor. Und ich suche noch dem „alles ist immer für irgendwas gut“. 

Am Morgen lasse ich das inkludierte Hotel-Frühstück sausen, es ist einfach nur furchtbar. Massenabfertigung in einem stickigen Raum, alles lieblos hingeknallt, abgepackte Industrie-Scheiße. Nein Danke. Statt dessen stiefele ich in die berühmte Funk Zone einem ehemaligen Industrie-Viertel, in dem sich kleine Wineries, coole Restaurants und Gallerien eingerichtet haben. Alles relativ klein und überschaubar. Ich gehe in die Helena Bakery, und die wiederum versöhnt mich mit meinen bisherigen eher nicht so berauschenden SB-Erlebnissen. Denn die ist mal richtig geil. Tolle Location, tolle Atmosphäre, super leckeres Essen, coole Leute. Da ich nichts besseres zu tun habe, hänge ich hier jeden Tag ein bis zwei Stunden ab. 

Auch abends gehe ich in die Funk Zone, und esse allein im Brass Bear. In den kleinen Wineries sitzen die hippen Leute und trinken und quatschen. Ich könnte mich dazu setzen, aber irgendwie kann und will ich nicht mehr. Vielleicht ist auch der Punkt gekommen, wo ich einfach nicht mehr allein sein will. Aus lauter Frust fange ich an, zu tindern, vielleicht finde ich ja jemanden, der mir Santa Barbara nahe bringt und mit dem ich abends ausgehen kann. Einfach jemanden zum Quatschen, nur um nicht allein zu sein. Aber Tinder ist ziemlich schnell ziemlich doof. Und ich lasse es. 

Aus lauter Santa-Barbara-Frust verbringe ich einen Tag im 50 Meilen entfernten Camarillo Premium Outlet Shopping Center und shoppe mich um den Verstand. Wie ich das alles in meinem regulären Gepäck unter gebracht habe, ist mir bis heute ein Rätsel. Inklusive Spielzeug-Mitbringsel für meinen Sohn. Soviel zum weiter oben angesprochenen Thema „weniger ist mehr“. Hust. Konsequent inkonsequent zu sein, war schon immer meine Stärke. 

Die drei Tage in Santa Barbara gehen dann doch irgendwie rum, ich muss über mein Gemotze und meinen Widerstand gegen diesen Ort selbst lachen. Und ja, natürlich finde ich auch schöne Dinge. Schöne Häuser, tolle Gebäude, entdecke hier und da coole Dinge. 
 

Lesson 20: Sich auch mal doof zu fühlen, das gehört wohl alles zu diesem Trip dazu. 
 

Ich fahre zurück nach L.A., und gönne mir die Fahrt entlang des Highway Ones, am Meer entlang. Ich habe genug Zeit, steige immer wieder aus, mache Fotos, gucke, staune, bewundere. Ich fahre die 20 Kilometer lange Malibu-Strecke entlang, ich bewundere die Strände und Häuser, suche David Hasselhoff, und versuche während des Fahrens etwas von dem Malibu-Feeling zu erhaschen. Doch dann fängt es an, kritisch zu werden. Die Uhr bis zu meinem Abflug tickt. Und ich stehe im Stau. Mein Navi sagt mir, für eine Strecke von 10 Kilometer brauche ich noch 90 Minuten. Ich hatte nicht einkalkuliert, dass an einem Sonntag Nachmittag ganz Kalifornien am Strand sein wird. Ups. Ich bin normalerweise immer zu früh, habe ewig Zeit. Ich versuche die Nerven zu behalten. Bleibt mir ja auch nichts anderes übrig. Jetzt könnte ich David Hasselhoff und seinen flying Knightrider wirklich gut gebrauchen. Übrigens plant David Hasselhoff ein Knight Rider Comeback! Was man nicht alles lernt. 

Irgendwie schaffe ich es nach Stunden durch den L.A.-Stau zur Autovermietung, und die Rückgabe geht zum Glück schnell. Der Shuttle-Bus bringt mich zum Terminal, und dann schalte ich auf Durchzug. Warten, warten, warten. Am Check-Inn. Im Security-Check. Elendes langes Warten. Als ich durch alles durch bin, hechte ich zu meinem Gate, und dort ist der Boarding-Prozess tatsächlich schon im Gang. Just in Time, nennt man das wohl. Puh, geschafft. Glück gehabt. Auf Flugverpassungs-Stress hatte ich echt keine Lust. Ich fliege zum ersten mal mit einem A380, sitze im zweiten Stock in der winzigen zweiten Klasse. Ich schaue aus dem Fenster, sehe die riesigen Tragflächen und bin beeindruckt. „I´ll be back“, denke ich, als der große Vogel abhebt. 

Köln empfängt mich mit Sommer-Wetter und Köllefornia-Feeling, und das macht den Switch, wieder hier anzukommen, definitiv leichter. Ich hatte Angst vor Regen und kalt und grau, aber so bleibt mir der Calfifornia-Blues erspart. 

Ich bin nun schon einige Zeit wieder zurück von meinem kleinen „Ich brech mal spontan aus dem Alltag aus California - Roadtrip“ – dennoch zehre ich immer noch von den vielen Eindrücken und Erlebnissen. Trotzdem hat mich der „Alltag“ doch ziemlich schnell wieder, die Erinnerungen verblassen, genauso wie das dort empfundene Lebensgefühl. Umso schöner ist es, diese hier, schwarz auf weiß, festzuhalten und zu teilen. 

Wenn ich in meine Reise-Notizen schaue, die ich immer wieder in mein iPhone unsortiert eintackere, wenn ich Gedanken und Beobachtungen festhalten will, entdecke ich noch so viele weitere Momente, die hier unerwähnt geblieben sind. Als hätte ich wie ein Staubsauger fast jeden Moment meiner Reise aufgesaugt. Warum gelingt uns das, wenn wir off-Alltag sind, aber nicht im Alltag selbst? Durch den Alltag rauschen wir nur so durch. Nehmen kaum noch was wahr. 
 

Lesson 21: Den Staubsauger-Modus anschalten und Momente sammeln. Auch im „echten Leben“. 

Ich versuche, loszulassen und gleichzeitig festzuhalten, meine „Lektionen“ und „Erkenntnisse“ alltagskompatibel einzubauen, vor allem diese Leichtigkeit und das Staunen, die Entdeckerfreude und Neugier zu bewahren und das „California State of Mind“ einfach in ein „Köllefornia State of Mind“ zu verwandeln. Ich freue mich wie ein Kind, wenn ich einen Pick-Up durch Köln fahren sehe, auch wenn dessen Ladefläche nur ein Drittel der US-Ladeflächen ausmacht. 

Ich freue mich über jeden Sonnenstrahl, ich lunse jeden Tag sehnsuchtsvoll in die Wetter-App und lasse mir das Wetter von Ojai anzeigen, wo wirklich jeden Tag die Sonne scheint. Es ist kein Klischee, dass es never raint in California. Es ist so. California ist ein Sunshine-State. Die müssen dort wohl wirklich jeden Tag ihre Tellerchen aufgegessen haben. Und wenn die Wolken Köln grau machen, und das tun sie leider sehr oft, dann weiß ich, dass die Sonne trotzdem da ist. Nur eben dahinter. 
 

Lesson 22: Die Sonne kommt immer irgendwann wieder zum Vorschein. Von ganz allein. Ohne mein Zutun. Ich muss (und kann sowieso) dafür nichts tun. Nur geschehen und vorbei ziehen lassen. Geduld haben. Und vertrauen. Nicht nur in Köln. Generell. Immer. Im Leben. 
 

Ich werde ab sofort mehr und öfter verreisen, auch an Nicht-Sehnsuchtsorte. Denn ganz ehrlich, natürlich ist California ein Komfortzonen-Reiseziel, das es einem sehr leicht macht. Man kann sich dort eigentlich nicht nicht-gut fühlen. Man müsste sich dafür schon ziemlich dämlich anstellen. (So wie ich in Santa Barbara zum Beispiel …) 

Aber was darf man erst lernen und entdecken, wenn man irgendwo ist, wo alles fremd und anders ist, und wo man vielleicht auch eigentlich nie hinwollte? So steht bei mir relativ bald ein Short-Trip nach Asien an. Mal eben eine Woche Thailand. Ein Abenteuer-Quickie. Ja, das ist bekloppt. Aber ich liebe bekloppte Dinge. Ich wollte nie nach Asien. Zu heiß, zu schwül, zu fremd, das Essen zu scharf, zu laut. Hallo, Vorurteile und vorgefertige Meinung. Aber es zieht mich einfach nicht an. Da ist immer ein „Uäh, neeee, muss ich echt nicht hin!“ in mir. Und vielleicht muss ich gerade deshalb einfach mal dort hin. 

Danke an alle, die virtuell mit mir mitgereist sind. Wenn es nur hier und da bei dem einen oder anderen etwas Sehnsucht und Abenteuerlust geweckt hat, die in welcher Form auch immer umgesetzt wird, freue ich mich riesig. Riesig sehr sogar.