Einmal Thailand to go, bitte! – Ein Reisebericht
Es heißt ja immer, follow your heart, follow your dreams. Sieh zu, dass du deine Bucket-List abarbeitest, und all die Dinge tust, die du schon immer mal machen wolltest. Oder bei denen dir deine innere Stimme sagt, dass du dieses und jenes jetzt unbedingt mal erledigen solltest. Habe ich gemacht, im April war ich z.B. in California, weil ich einfach da hin MUSSTE. Und es war großartig.
Aber ich bin bekloppt. Ziemlich bekloppt. Bucket-List abarbeiten kann ja schließlich jeder. Aber was ist mit all den Dingen, die nicht auf unseren Bucket-Lists stehen? Dinge, die uns eigentlich gar nicht reizen, wir eben keinen „Call des Herzens“ erhalten, es uns nie gejuckt hat? Wäre es nicht total verrückt, total spannend, sich genau deshalb mal etwas rauszupicken, auf das man, eigentlich, gar keinen Bock hat?
Lesson 1: Ärgere dich mal selbst. Tue Dinge, die du so gar nicht auf dem Schirm hast. Und lass dich überraschen, welche Geschenke sich darin verstecken.
Es ist heute keine große Sache mehr, Urlaub in Asien zu machen. Irgendwie war doch schon mal jeder in Thailand oder auf Bali, die Hipster traveln durch Vietnam, und die Esos detoxen, cleansen und meditieren in Indien. Mich hat das aber nie gereizt. Asien verursachte immer nur ein Schulterzucken bei mir. Asien hat mich nie gerufen. So schön und verlockend die Strandbuchtbilder mit dem türkisblauen Kristallwasser auch aussehen, und so viele verrückte Geschichten man von dort auch hört. Im Gegenteil, mein Bauch flüsterte mir immer zu: Asien? Brauchen wir nicht, wollen wir nicht! Zu heiß, zu trubelig, zu anders, zu komplett andere Vibes, zu dreckig, zu fremd, zu scharfes Essen, zu iih-bäh-nee, no thanks, not for me. Yes, I´m a very open minded person mit so überhaupt keine Vorurteile.
Und dann ploppt auf einmal für mich die Möglichkeit auf, nach Thailand zu fliegen. Einfach so. Ingesamt sieben Tage. Abzüglich Flugzeit werde ich genau fünf Tage haben, um mich, vielleicht, eines besseren zu belehren. Ja, ich weiß, ich bin bedauernswert. Ich armes Ding „muss“ nach Thailand. Ich komme mir auch etwas bescheuert vor. Ich fliege um die halbe Welt, quetsche mich zwei mal elf Stunden in einen voll besetzten Flieger, um etwas zu tun, wovon ich immer dachte, dass ich gar keine Lust darauf habe, und habe genau fünf Tage Zeit, um ein völlig fremdes Land zu entdecken, was ich nie entdecken wollte. Einmal Thailand to go, bitte. Thailand-Express. Thailand Drive-Through, und am Schalter dreist „Gebt mir alles, was ihr habt!“ bestellen. Travel-Fast-Food, das Thailand XXL-Menü, zum Mitnehmen.
I´m a California Girl. But am I a Thai-Girl?
Da fängt es ja schon an. California-Girl, da habe ich Bilder von coolen Surf-Babes im Kopf, die, wenn nicht gerade auf dem Surfbrett im Meer, in Jeans-Shorts die Strandpromenade entlang skaten. California-Girls haben ein positives Image.
Und woran denke ich bei Thai-Girl? Genau daran, woran vermutlich jeder denkt.
Ich ertappe mich beim Kofferpacken dabei, wie ich ernsthaft darüber nachdenke, Gummistiefel einzupacken, weil Bangkok soll ja ein Moloch sein, sagt man, und ich sehe mich schon durch meterhohen Dreck und Matsch waten, also muss ich so voll prepared sein, und man kann doch dort bestimmt nicht einfach mit FlipFlops lang flanieren. Als ich in Bangkok ankomme, schäme ich mich für diese Gedanken und bin froh, dass ich die Gummistiefel nicht eingepackt habe. Natürlich erkunde ich Bangkok und den Rest meiner Thailand-Destinationen mit FlipFlops.
Am Flughafen stehe ich kurz vor Abflug in einem Buchladen vor den Reiseführern. Wenn ich mich schon in so ein Abenteuer stürze, brauche, will ich dann schriftliches Begleitmaterial? Ich habe mich, außer Koffer packen, quasi null, nada, niente auf diese Reise vorbereitet. Klar, ich habe ein gewisses Bild im Kopf und einmal in der Google Bildersuche „Bangkok“ eingegeben. Aber das war´s auch schon. Bin ich naiv? Bescheuert? Oder einfach nur ´ne coole Socke? Ich weiß es nicht. Ich bin normalerweise immer top vorbereitet, lese und recherchiere viel. Aber wenn ich ganz ehrlich zu und mit mir selbst bin, tue ich das nur, um alles unter Kontrolle zu haben. Ich vertraue dem Überraschungs-Moment nicht. Vertraue dem Unvorbereiteten nicht. Vertraue nicht dem Weg, der sich erst ergeben soll, wenn man ihn geht. Will den Weg oft schon vorher zementieren, nur um dann das bestätigt zu bekommen, was ich denke, was ich durch meine Recherchen vorher schon „weiß“. Was ist nun also bekloppter und arroganter? Sich vorbereiten und zu denken, man weiß schon alles über ein fremdes Land, oder sich blindlings in ein Abenteuer stürzen? „Aber du musst doch vorbereitet sein, dich informieren!“ sagen alle. Mir kommt ein Zitat von Richard David Precht in den Sinn, aus seinem neuen Buch „Jäger, Hirten, Kritiker - Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“, das ich erst vor kurzem gelesen habe:
„Das Urlaubshotel schaut man sich vorher in einem virtuellen Rundgang an, in fremden Städten verhindert Google Maps, dass man sich verirrt. Der überraschende oder irritierende Zufall wird abgeschafft. Man spricht niemanden mehr an. Das Leben und der Weg zum Glück werden algorithmisiert. Leben ist aber genau das Gegenteil- Nämlich genau das, was passiert, wenn etwas dazwischen kommt. Das Versprechen der digitalen Welt ist, dass nichts mehr dazwischen kommt.“
Lesson 2: Wenn ALLE etwas sagen, dann ist das meistens ein Grund, genau das nicht zu tun. Don´t trust the must.
Ich blättere in diversen Thailand-Reiseführern und mein Scanner-Hirn screent und frisst gierig alles an Bildern und Informationen, das es in der Kürze der Zeit zu fassen bekommt. Die Vorstellung, völlig blauäugig in ein Land zu fliegen, in das ich nie wollte, finde ich witzig. Ich lege die Reiseführer alle wieder weg und komme mir unglaublich verwegen vor. Ich bin so end-crazy, ey! Ich verlasse den Buchladen. Und dann zieht mich mein Vernunfts- und Streber-Ich, das alles kontrollieren und planen will, das gern einen Überblick hat, doch zurück, packt sich das nächstbeste Thailand-Buch, bezahlt es und stopft es in meine Tasche. Scheiße, ich bin wohl doch ein Spießer. Ich studiere den Thailand-Reiseführer im Flieger. Eins weiß ich auf jeden Fall jetzt: Es gibt dort Tempel. Sehr, sehr, sehr viele Tempel.
Kurz vorm Boarding stelle ich fest, dass ich gar kein thailändisches Geld habe. Und dass ich noch nicht mal weiß, wie die Währung heisst. Dank iPhone und Google ändert sich das blitzschnell. Am nächstbesten Money-Change-Schalter tausche ich 200,00 Euro um und habe auf einmal zig tausend Thai-Bahts in meinem Portemonnaie.
Die elf Stunden Flug vergehen irgendwie. Nachtflug. Dank der neuen Lufthansa-Premium-Economy angenehm. Etwas mehr Platz, der Sitz lässt sich etwas mehr nach hinten klappen, etwas mehr Abgrenzung zum Sitznachbarn. Und die brauche ich auch. Wer kennt ihn nicht den Moment, man sitzt in seinem Sitz, beobachtet die anderen einsteigenden Fluggäste, und bei dem einen oder anderen betet man inbrünstig: Bitte, lieber Gott, lass den nicht neben mir sitzen! Geht er dann vorbei, ausatmen. Puh, Glück gehabt, Danke. Doch diesmal habe ich kein Glück. Ein älterer, beleibter Herr, der aussieht, wie ältere, männliche, deutsche Thailand-Touristen eben so aussehen, lässt sich neben mir in den Sitz plumpsen. Er stinkt und hat eine Fahne und das unsympathischste Grinsen der Welt. Ich will nicht, dass er die nächsten elf Stunden neben mir sitzt. Ob ich mich auf den Boden schmeißen, strampeln und schreien soll? Ich schiele sehnsüchtig auf die zwei Sitzreihen vor uns, wo es noch freie Plätze gibt. Sieht die Flugbegleiterin denn nicht, dass ich in größter Not bin, und kann sie mir nicht den Gefallen tun, diesen Menschen woanders hin zu setzen? Nein, sieht sie nicht. Kann sie nicht. Ich muss da wohl jetzt einfach durch. Der Typ nervt, textet mich zu, obwohl ich eine Eiskönigin-Arroganzia-Aura um mich herum aufgebaut habe. Nachts finde ich sogar irgendwann seine Griffel ziemlich eindeutig unabsichtlich auf meiner Seite, die ich angewidert, vehement und ziemlich aggressiv auf seine Seite zurück schleudere.
Lesson 3: Jeder bekommt bei einem Langstreckenflug den Sitznachbarn, den er verdient. Irgendwas scheine ich in den letzten Tagen falsch gemacht zu haben.
Kurz vor der Landung bin ich beim Blick aus dem Fenster irritiert. Es sieht genauso aus als würde ich über das Bergische Land rund um Köln fliegen. Alles grün!
Als ich in Bangkok frühen Nachmittag Ortszeit, Thailand ist fünf Stunden voraus, aus dem Flieger steige, schlägt mir in dem winzigen Spalt zwischen Flugzeug und diesem Andock-Tunnel-Dings das erste mal thailändische Luft entgegen. Und ich muss lachen, denn es ist genau so wie alle immer sagen, dass es ist: Ich laufe gegen eine Wand aus unglaublich warm und unglaublich schwül. Doch kaum verschwinde ich in dem Andock-Dings – nennt man es Einsteige-Arm? – befinde ich mich in Aircondition-Zone. Es ist kühl. So wie überall in Thailand, wenn man sich in geschlossenen Räumen, einschließlich Autos, aufhält. In Deutschland ist es in der Regel drinnen warm und draußen kalt. In Thailand genau andersrum.
Ich bin überrascht, wie ruhig ich es in Bangkok am Flughafen Suvarnabhumi ist. Alles ist extrem sauber, aufgeräumt und leise. Ich hatte einen Riesenkrach und noch mehr Chaos erwartet. Aber das komplette Gegenteil ist der Fall. Es ist unglaublich, aber es dauert keine Stunde, bis ich in meinem Hotel bin. Sowas habe ich noch nie erlebt. Der Immigration-Prozess, zack, durch. Kofferband, zack, da isser. Raus, da steht schon der Hotel-Fahrer, und zack, sitze ich in einer schwarzen Limousine, und zack, bin ich in 30 Minuten Downtown Bangkok. Was´n hier los?, frage ich mich. Ich bin in einer Acht-Millionen-Stadt. In Asien. Unglaublich, wie hier alles zack-bumm geht. Okay, ich reise low-season, Nebensaison. Dennoch bin ich von der Aufgeräumtheit, Ruhe und Reibungslosigkeit völlig perplex. Aber was hatte ich denn auch erwartet? Eine Schotterpiste im Urwald und Flughafengebäude aus Bambus-Hütten?
Lesson 4: Die eigenen Vorurteile sind immer die geilsten. Noch geiler, wenn sie von der Realität ad absurdum geführt werden.
Was ich so gar nicht auf dem Schirm, und ich offensichtlich in den Short Facts in meinem Thailand-Reiseführer übersehen hatte: Man fährt links. Der Himmel ist grau, überhaupt ist es ziemlich oft grau in Bangkok, und als gute alte deutsche Schlechtwetter-Seele hat man sofort die Assoziation grau = kalt. Aber hier ist es warm. Sehr warm. Ich wurde viel vor dem Wetter hier „gewarnt“, es sei so unerträglich heiß und dann noch die extrem hohe Luftfeuchtigkeit, da würde man schon mal ganz schnell aus den Latschen kippen. Ich habe keine Probleme damit. Ich empfinde die warme Sauna-Luft um mich wie eine Umarmung. Ich mag das. Total. Jedes mal, wenn ich aus den klimatisierten Gebäuden komme, durchströmt mich ein „ah, schön warm“. Auch frisurentechnisch passe ich mich den klimatischen Gegebenheiten schnell an: Der zusammengewurschtelte Knubbeldutt oben uffm Kopp ist die einzig wirklich akzeptable Lösung für lange Haare.
Auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel staune ich. Die Autobahn ist makellos, da kann sich Los Angeles mit seinen schradderigen Straßenbelägen echt ´ne Scheibe abschneiden. Neben der Autobahn riesige Anzeigentafeln für alles mögliche. Immer wieder Anzeigen eines Kosmetikproduktes namens „Snail White Cream“. Die „Snail Cream“ wird mich meine Thailand-Zeit überall verfolgen, für kaum ein Produkt wird mehr geworben. Ist da wirklich das drin, was ich denke, dass drin ist? Bin neugierig, recherchiere, und tatsächlich scheint dieses Produkt in Asien ein wahres Hype-Ding zu sein, so sehr Hype, dass auf den Straßen sogar Fakes angeboten werden. Und ja, es ist daran Schneckenschleim enthalten. Angeblich soll diese Creme gegen und für alles helfen. Ich verkneife mir, mir eine Packung zu kaufen. Auch wenn´s schön macht. Schneckenschleim im Gesicht erinnert mich dann doch etwas zu sehr an Dschungelcamp. Überhaupt sieht man viele Anzeigen für Whitening-Produkte. Der Kontrast ist witzig. In unsere Gefilden werden Bronzer und Tanner noch und nöcher beworben mit sich in der Sonne rekelnden Chickenwing-gebräunten Models. Und hier das komplette Gegenteil. Pale White ist hier so en vogue.
Ich bin überrascht, wie schnell man vom Flughafen in Downtown Bangkok ist. Ich brauche keine 30 Minuten. Wobei Downtown bei einer 8-Millionen-Stadt auch irgendwie nicht passt. Hier ist gefühlt alles Downtown. Ich habe noch nie so viele Wolkenkratzer auf einem Fleck und über eine so riesige Fläche verteilt gesehen. Unglaubliche 923 Hochhäuser gibt es hier, und die imposante Skyline wächst immer mehr. Höher, weiter, schneller, das gilt auch hier, denn die Hauptstädte Asiens wetteifern um den Längsten und Größten. Wolkenkratzer natürlich. Jedes Hochhaus sieht anders aus, und es gibt unglaubliche Architekturen, die alle nicht wirklich zusammen passen. Als hätte sich hier eine Klasse Architekten aus der Waldorf-Schule ausgetobt. Je verrückter, desto besser. Ein Skyscraper sieht sogar so aus, als hätte eine riesige Maus ein Stück raus gebissen. Ein anderer sieht aus wie eine riesige Wäscheklammer.
Ich checke in meinem Hotel ein, bin im Landmark Bangkok, einem riesigen, gehobenen Hotel-Komplex im Stadtteil Sukhumvit. Die Sukhumvit Road ist die längste Straße von Bangkok und mein Hotel befindet sich im beliebten Party-Zentrum „Nana“. Party-Zentrum in Bangkok = Hallo Rotlicht. Oben entlang der Sukhumvit Road führt der Skytrain. Und ich fühle mich augenblicklich „heimisch“, weil die riesige Straße, auf der oben eine Bahn entlang fährt, erinnert mich irgendwie an die Berliner Schönhauser Allee, wo ich als Kind gewohnt habe. Die Straßen sind so trubelig, es ist laut. Und kaum betrete ich das Hotel, werde ich von der ruhigen Hotel-Atmosphäre verschluckt. Zwischen Drinnen und Draußen ist in Bangkok so ein riesiger Kontrast. Zwischen kalt und warm, laut und leise.
Mein Zimmer ist im 29. Stock. That´s a room with a view! Ich stehe vor der riesigen Fensterfront und blicke über Bangkok. Krass, was mache ich hier eigentlich?! frage ich mich in dem Moment. Ich bin in Bangkok, wie verrückt ist das denn?!
Bevor mich der Jetlag und die nicht geschlafene Nacht im Flieger in die Knie zwingt, stürze ich mich ins Getümmel. Gehe raus, latsche einfach drauf los und lasse mich umtrubeln. So viele Eindrücke, Straßenhändler, bei denen man von Viagra über Sextoys bis hin zu Fake-It-Bags alles kaufen kann. Die berühmten kleinen Gar-Küchen auf Rädern, bei denen es alles gibt. Auch Insekten. Es ist so vieles so wirklich so anders hier. Die vielen Frauen (und Nicht-Frauen), die knapp bekleidet vor den Bars und Restaurants sitzen und auf ihre Kundschaft warten. Und doch lebend die Menschen hier ihr ganz normales Leben. Und ich fühle mich wie ein Statist, der gerade durch ihre Lebenskulisse stapft. Die Straßen krachend voll mit Autos und Tuktuks. Es gibt gelb-grüne und quietsch-pinke Taxis, die ich Barbie-Taxis taufe. Vielleicht sind das die Taxis für die Ladyboys?
Und dann tue ich das, was man in Thailand einfach tun muss. Im Raintree Spa gönne ich mir 90 Minuten Fuß-Massage. Ich frage mich: Was denken eigentlich Masseure und Masseurinnen den ganzen Tag, während sie einen Fuß nach dem anderen durchkneten? Sind sie anwesend? Meditieren sie? Denken sie an die Einkaufsliste? Ruhe im Karton, denke ich daraufhin, jetzt wird entspannt. Meine Füße und Beine sind im Himmel, es plätschert vor sich hin, das laute Bangkok ist ganz weit weg, ich schwebe auf Wolken und döse komplett weg. Erst als die freundliche Dame anfängt, Nacken und Hals zu bearbeiten, wache ich wieder auf. Weil: Aua! „Ah, Tension“, sagt sie, als sie ihre Fingerkuppen in meine Verspannungen gräbt. „Jaaa, Tension,“ sage ich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das ist eben Bangkok, das Gute und das Böse liegen so nah beieinander.
Überhaupt ist Bangkok so voller Kontraste. Die riesigen Shopping-Malls, in denen es alle Luxus-Brands der Welt gibt versus das einfache Straßenhändler-Getümmel. Die Härte der Männer, die ihnen ins Gesicht geschrieben steht, versus die unglaubliche Weichheit und Zartheit der Frauen.
Auch die anderen Tage gönne ich mir eine Massage, fast jeden Tag lasse ich mich bearbeiten. Es klingt so doof und arrogant, aber für europäische Verhältnisse ist es einfach unglaublich günstig. (Wie so vieles hier. Mit einem Einkommen von 2000,00 Euro, was in Deutschland eher zur unteren Wohlstands-Kategorie gehört, ist man in Thailand König und kann entsprechend mit allem Zipp und Zapp leben.) Einmal gebe ich es mir richtig dreckig, und traue mich an eine echte Thai-Massage. Leck mich anne Nüsse, was für eine Folter! Was für ein Schmerz! Angeblich soll das ja alles Wunder bewirken, nun, ich bin mir nicht so sicher. Aus Thailand bringe ich nach dieser Woche wundervolle ästhetische Andenken mit: Einen Körper voller blauer Flecken, massagebedingt. Und ca. 74 Mückenstiche von meinem zwei Tage später folgenden Insel-Ausflug.
Lesson 5: Vielleicht hätte ja die Snail-Cream gegen all das geholfen?
Am Abend tue ich etwas anderes, was man in Bangkok unbedingt tun muss: Rooftop-Dining. Ich sitze in der Moonbar im 61. Stock, outdoor, blicke über das leuchtende nächtliche Bangkok und esse irgendwas Europäisch-Angehauchtes. Der Blick und die Atmosphäre da oben ist genial. Einfach mega-wow.
Es ist spannend zu sehen, wie unglaublich freundlich die Thailänder sind. Und die Frauen regelrecht unterwürfig freundlich. Am späten Abend sitze ich in der Hotelbar, lümmele auf einer Couch, und trinke den besten Banana-Daiquiri meines Lebens, made of fresh pürierte Thai-grown Bananas, so lecker! Die Bardame kniet sich jedes mal, wenn sie mir etwas bringt oder ich etwas bestellen möchte, vor mir nieder. Ich finde das unangenehm. Sehr. Aber für sie ist es das normalste auf der Welt. Sie lächelt. Sie strahlt.
Lesson 6: Ich fange an zu verstehen, warum Thailand das Nummer-Eins-Ziel für bestimmte männliche Angelegenheiten ist: Extreme Freundlichkeit, extreme Unterwürfigkeit, extremer Service-Charakter, extrem günstig. You get what you want, whatever it is you want – and while getting it, you feel like a king.
Ich will es noch mehr verstehen, und da das Nana Plaza direkt um die Ecke von meinem Hotel ist, mische ich mich unters Vergnügungsvolk. Das Nana Plaza trägt den Titel „The World´s Largest Adult Playground“. Und genau das ist es, es ist laut, alles ist schrill, alles leuchtet. Disneyland für Penisse. Während man in Deutschland als Frau gar nicht erst in gewisse Etablissements reingelassen wird, kann ich hier einfach lang marschieren und mir alles anschauen. Vor jeder Bar stehen zig Girls und Ladyboys, die einen rein ziehen wollen. Vor der „Spankys-Bar“ verhaut man mich mit aufblasbaren Patschhänden, es wird viel gelacht, und ehe ich es mir anders überlegen kann, sitze ich auch schon drin. Ja, es ist komisch, als Frau. Als Frau, die zuguckt. Auf einem beleuchteten Catwalk tanzen in der Mitte ca. 15 Mädchen in allen „Varianten“, jeder Figurtyp ist dabei, man trägt knappste Bikinihöschen, sie sind alle hübsch. Richtig hübsch.
Am Rand ist eine Dusch-Kabine, in der sich ein Girl lasziv einseift und duscht. Laute, schrille Musik, Gekreische, Geblinke. Ich bestelle mir Wodka und Wasser und gucke zu. Um den Catwalk sitzen Männer, alle Altersklassen, ganz jung, ganz alt, und sie sehen alle „ganz normal“ aus. Es könnten Freunde von mir sein. Kollegen. Familienmitglieder. Dass ich als blonde Frau hier in dem Getümmel mit dabei bin, scheint niemanden zu irritieren. Zu wechselnden Musikstücken werden immer wieder neue „Performances“ vorgeführt. Unter anderem teilen sich zwei Damen eine Gurke. Für mich ist das alles so drüber, es ist alles so verspielt, ich will fast sagen, unschuldig. Es ist wie Kindergarten. Und null sexy und erotisch. Aufregend, ja. Aber anmachend? Warum fahren Männer so darauf ab? Reichen wirklich ein paar Schlüsselreize (nackte Brüste) und das Gefühl von Macht, dass die Mädels für Kohle zu allem bereit sind? Ich komme mir bei diesen Fragen so naiv vor, denn ich kenne die Antwort. Und die ist so einfach. Ganz einfach JA.
Ein älterer Herr, der neben mir sitzt, reißt sich die schönste des Damentrupps unter den Nagel, zieht sie zu sich auf seine Bank, sie flirtet mit ihm, sie räkelt sich vor ihm, er klatscht ihr auch den Hintern, er gibt ihr Drinks aus. Als sie wieder zurück auf die Bühne geht, nehme ich all meinen Mut zusammen und frage den Herren, ob ich ihm ein paar Fragen stellen darf. Er lacht. Er ist Deutscher. Welch Überraschung. Ich frage ihn, wie das hier so funktioniert. Er sagt, man kann zugucken, gibt den Damen Drinks aus, ab und zu mal einen Geldschein ans Höschen, und wenn einem eine gefällt, kann man mit ihr nach hinten gehen. Und dann, knickknack. Man kann sich auch eine aussuchen, wenn man gerne eine für mehrere Tage als Begleitung hätte. Man macht ein Angebot, und dann wird sie ja sagen. So einfach ist das. Ich frage ihn, was das faszinierende an all dem ist. Er sagt: „Es ist hier so einfach und so unkompliziert. Und so günstig. Und die Mädchen tun wirklich alles dafür, dich glücklich zu machen. Und außerdem macht ihnen das auch Spaß. Die wollen das. Und Thai-Mädchen kommen auch ganz einfach zum Höhepunkt, die lieben Sex einfach.“ Ich kommentiere das nicht. Und lasse ihm in den Glauben. Aber wenn sich genau das rumspricht und genau das der USP hier ist, ist klar, warum das Thailand-Klischee kein Klischee ist. Männer wollen am Ende kein Gedöns und einfach nur dat Ding versenken. Und sich dabei auch noch wie King Louis fühlen, wenn ihnen die Frau on Top auch noch das Gefühl gibt, dass sie gerade the time of her life und multiple Orgasmen hat. Und dann noch das Machtgefühl, sich all das für wenig Geld kaufen zu können. Das ist keine Wertung, keine Verurteilung. Nur eine Beobachtung, Feststellung. Wir Frauen aus dem „echten Leben“ fühlen uns ja von genau sowas bedroht. Und deshalb versuche ich einfach nur zu verstehen und zu begreifen.
Ich ziehe weiter. Ich habe noch mein etwas schickeres Moonbar-Rooftop-Dining-Outfit an, einen quietsch-pinken ärmellosen Jumpsuit, und vor den Bars rufen mir Frauen mit Männerstimmen hinterher: „Oh, I love your outfit! I want to have your outfit! Give it to me!“. In keinem anderen der Welt gibt es mehr Transgender, in keinem anderen Land der Welt werden mehr geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt. Für Thailand ist das völlig normal. Nur wir doofen Europäer kichern über die Ladyboys.
Lesson 7: In Sachen Toleranz können wir uns von Thailand ´ne Scheibe abschneiden.
Der junge Mann, der aussieht wie eine wunderschöne Frau, zieht mich in seine Bar. Ich bin die einzige. Und vor mir tanzen, auf einem beleuchteten Catwalk, sechs junge Männer in knappen Bikinis, die aussehen, wie sechs wunderschöne junge Damen. Ich kippe meinen Wodka runter, und ziehe weiter. Komme an einer „Blowjob-Bar“ vorbei. Und nein, das muss ich nicht weiter entdecken, ich glaube auch, hier würde man mich wirklich nicht rein lassen. Aber etwas neugierig bin ich ja schon, wie genau das da drinnen wohl von statten geht. Habe diverse Bilder im Kopf. Und muss lachen. Frage mich, was wäre wohl das Äquivalent für Frauen? Sind große Shopping-Malls nicht unser Äquivalent? Und Männer shoppen halt einfach nur anders?
Ich lass mich weiter durch das Bangkok-Nighlife treiben und habe den 80er-Jahre Hit „One Night in Bangkok“ im Ohr.
Ich lande in einem BDSM-Laden. Und es is so skurril alles. Weil alles so gespielt ist. Es hat nichts verruchtes. Es ist nur Show. Einfach nur eine große Kulisse. In einem Käfig lässt sich eine junge Dame von einer etwas älteren Dame fesseln, anketten, mit heißem Kerzenwachs beträufeln und leicht auspeitschen. Beide Damen schauen dabei so gelangweilt und desinteressiert, als würden sie Regale bei Aldi einräumen. Ich meine, was nützt die verruchteste, dreckigste und pornöseste Inszenierung, wenn da einfach keine „Vibes“ sind? Da ist null sexuelle Energie, obwohl hier alles nach Sex schreit. An einem großen Kreuz lässt sich ein beleibter junger Mann anketten, drei Damen ziehen ihm die Buchse runter, kippen Kerzenwachs auf seinen Arsch und peitschen ihn mit sanften Schlägen aus. Man kichert und kreischt dabei die ganze Zeit. Seine weiblichen Begleiterinnen feuern die Peitschen-Mädels an und machen Fotos. Wäre ich ein Mann, wie soll ich da bitteschön ´nen Ständer bekommen, geschweige denn das genießen?
Apropos Ständer. Das skurrilste ist jedoch, da sitzen auf Sofas in verschiedenen Ecken zwei Kerle, einer jünger, einer älter, mit jeweils zwei Damen links und rechts im Arm, und vor ihnen kniet noch eine dritte, die das tut, was Frauen in dieser Position halt so machen. Die lassen sich einen blasen. Und jeder in der Bar kann zuschauen. Okay, es ist dunkel und schummerig, auch laut. Trotzdem ist es ulkig. Immerhin benutzt man Kondome. Der jüngere Kerl beobachtet das Treiben gelangweilt um sich herum, während sich die drei Damen abwechseln und sich abrackern müssen zwischen seinen Beinen. Die Ober-Dame kommt immer wieder vorbei, und schaut nach, ob alles in Ordnung ist, sie unterhält sich sogar mit dem Typen. Während er einen geblasen bekommt! Ist das alles skurril. Ich habe keine Ahnung, ob er zu seinem Happy End kommt, will es eigentlich auch gar nicht wissen, gefühlt arbeiten sich die Damen aber schon ´ne halbe Stunde an ihm ab. Die Armen!
Ich sitze an der Bar, bestelle Wodka. Wodka und Wasser. Die beste Mischung, um leicht angeschickert und doch nen klaren Kopf zu behalten. Ich bekomme angeboten, die Sklavin im Käfig auszupeitschen. Och nö, lass ma. Dann lässt sich eine sehr dralle Asiatin in der Mitte des Raumes auf einen Tisch nieder, spreizt die Beine, und wieder hantieren zwei andere Ladies mit Kerzenwachs herum. Dabei schauen alle total gelangweilt. Vielleicht ist es ja auch langweilig, wenn man diese Show jeden Abend, jede Nacht durchzieht. Vor Routine und Alltag kann man sich wohl auch nicht in Bangkoks kinky Nachtclubs schützen. Ich muss über mich selbst lachen. Ich sitze in einem BDSM-Schuppen in Bangkok und sehe, was ich sehe. Halleluja, Zapperlott und drei mal schwarzer Kater!
Finde ich das alles schlimm? Verwerflich. Nein. Ich staune einfach. Beobachte. Es ist wie es ist und wie es vermutlich immer sein wird. Und wann hat man schon mal die Chance, SOWAS sich einfach mal anschauen zu können? Geht in Deutschland, als Frau, nicht. Also einfach mal rein ins bizarre Leben.
Lesson 8: Sex ist auch nur ein Business wie jedes andere auch. Mit allen Regeln, die auch für alle anderen Businesses gelten. Ob das nun „gut“ ist oder nicht, nun, das ist eine andere Frage.
Um bei meinen fünf Tagen so viel wie möglich Thailand mitnehmen und entdecken zu können – yeah, gebt mir alles, was ihr habt! (ich komme mir schon vor wie die Chinesen, die ganz Europa in drei Tagen abarbeiten) – mache ich direkt an Tag zwei einen Ausflug nach Kanchanaburi. Nicht wirklich geplant, ergibt sich so. Und ich fange immer mehr an, Dinge, die sich so ergeben, cool zu finden. Ist nur 130km von Bangkok entfernt, und ich will auch einfach nur mal zwei Stunden im Auto sitzen und aus dem Fenster glotzen, einfach Thailand on the road einsaugen. Kanchanaburi ist vor allem durch den River Kwai weltbekannt. Durch den mit u.a. Alec Guinness besetzten Film und die Romanvorlage "Die Brücke am Kwai" aus dem Jahr 1957 ist die Eisenbahnbrücke zwischen Thailand und Birma weltbekannt geworden. Trauriger Hintergrund: Kriegsgeschichte zwischen Burma und Thailand, beim Bau der Zugverbindung ab 1942 starben tausende Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, weshalb die Zugstrecke auch „Death Railway“ genannt wird.
Kanchanaburi ist ein kleines, eigentlich unscheinbares Örtchen. Auf dem Weg dorthin bestaune ich die vielen Arten, wie man seine Ladung auf Autos, Fahrrädern und Mopeds festzurren kann, viele bunte Tempel am Straßenrand, einfach das daily-life-Thailand. Ich esse auf dem River Kwai in einem floating Restaurant Mittag, das Essen ist einfach unglaublich lecker, wenn auch, trotz „please not spicy“ schon ganz schön scharf. Überhaupt ist das Essen, egal wo ich lande und was ich esse, immer einfach nur großartig. Tell me something new, ich weiß, jeder weiß, dass Thai-Food yummie ist, aber ich möchte das nicht unerwähnt lassen. Allein die Früchte, die Melonen, Papaya, Ananas, die so süß und voller Geschmack sind, dass ich bei dem Gedanken an die geschmacklosen Dinger zu Hause fast weinen möchte. Und nach frisch gepresstem Granatapfelsaft könnte ich süchtig werden.
Im Restaurant gibt es kleine Fischfutter-Beutelchen für ein paar Bahts zu kaufen, ich schnappe mir eine Tüte und sobald die ersten Krümel im Fluss landen, preschen wie aus dem Nichts in Sekundenschnelle hunderte kleine Fische aus dem schlammig-undurchsichtigen Flusswasser nach oben und kämpfen um die kleinen Happen. Es hat was ziemlich piranha-artiges. Es ist heiß und schwül, und ich fühle mich irgendwie „verschoben“ und verpeilt, weil Jetlag und das Bewusstsein, dass ich gerade auf der anderen Seite der Welt bin. Dieses Gefühl, das sich anfühlt, als wäre man in seinem eigenen Film. Verrückt.
An Tag drei verlasse ich das trubelige Bangkok und fliege ins Paradies. Ich bin mehr als einen halben Tag unterwegs, aber das ist es wert. Überhaupt ist für mich das „unterwegs sein“ hier so viel mehr als nur von A nach B zu kommen und einfach nur notwendige und nervige Reisezeit. Im Gegenteil, ich liebe es, es gibt so viel zu entdecken. Es geht vom Hotel in Bangkok wieder zum Flughafen Bangkok, Dauer 30 Minuten. Am Flughafen das übliche Flughafen-Warten, Dauer ca. 1 Stunde. Dann mit Thai Airways eine Stunde Flug nach Phuket. Dann mit Taxi 30 Minuten von der einen Seite von Phuket auf die andere Seite, zur Royal Phuket Marina, dann ab aufs Speedboat, und dann noch mal knapp 50 Minuten mit dem Boot nach Koh Phi Phi. Anstrengend? Nö. Geil.
Das Boot prescht mit harten Schlägen über das Meer, ich bin ein Schüttelshake, muss lachen, werde nass von den spritzenden Wellen. Je mehr ich krampfhaft versuche, mich festzuhalten, je mehr Widerstand ich leiste, desto härter sind die Schläge und Erschütterungen, die ich im Sekundentakt auf dem Boot zu spüren bekomme. Es ist anstrengend. Dann stelle ich mich hin. Und lasse los. Gehe mit den Auf- und Ab-Bewegungen des Bootes einfach mit. Und auf einmal keine harten Schläge mehr. Es geht so viel besser, als das krampfhafte Sitzen, Festhalten und ja, auch etwas Angst-Haben vorher. Auf einmal ist das ganz leicht und weich, und es macht sogar Spaß. Ich juchze. Und irgendwie ist das eine schöne Metapher fürs Leben.
Lesson 9: Go with the flow. Lass los. Je mehr Widerstand du hast, je mehr du dich festhälst, desto härter kriegst du alles um die Ohren gehauen, desto mehr tut es weh, desto unangenehmer und anstrengender ist es. Gib dich hin, geh mit den Bewegungen mit, lass los, kein Widerstand, akzeptiere, nimm an. Und staune, wie einfach, weich und leicht auf einmal alles ist.
Koh Phi Phi ist die kleine Schwester der Party-Insel Phuket, und vor allem durch seine Maya-Bay weltberühmt, in der die sagenhaften Sehnsuchts-Strand-Szenen in „The Beach“ mit Leo Di Caprio gedreht wurden. Derzeit ist die berühmte Bucht geschlossen, sie muss sich dringend vom touristischen Massenandrang erholen.
Das Boot bringt mich, weil Ebbe, nicht ganz ans Ufer. Abgesehen davon, dass ich auch durch das seichte Wasser gewatet wäre, hat man hier dafür eine Lösung. Ein Traktor fährt ins Meer, dockt ans Boot an, lädt das Gepäck und mich auf, und ab geht´s an den Strand. Einfach großartig. So kommt zu Taxi, Flugzeug, Boot also heute noch ein Traktor dazu und vervollständigt mein Transportmittel-Quartett.
Und dann, dann bin ich im Paradies. Die Insel ist grün, vor mir liegt ein kleiner Dschungel, der Strand ist weiß, das Wasser türkis. Fuck the chicken, ist das schön! Ich raste aus. Ich bin im Zeavola-Ressort. Und das ist abartig wunderschön. Kleine individuelle Holzhütten mit Outdoor-Wohn- und Badezimmer, die in den üppigen Dschungel-Garten gebaut sind. Es ist ein Barefoot-Place, alle laufen barfuss rum, auch die Ressort-Angestellten. Die Soundkulisse klingt wie die Rainforest-Playlist bei Spotify, gurrende Vögel, Geplätscher, Gerausche. Aber es kommt nicht von Spotify. Es ist echt.
„Step back to simplicity“ ist der Slogan von Zeavola. Und bringt es auf den Punkt. Was braucht man schließlich mehr als Sonne, Strand und Meer? Zeavola ist kein überkandideltes Luxus-Ding, wobei es alles hat, was es genau dazu machen könnte, aber es ist alles einfach, pur, nachhaltig, authentisch und liebevoll. Einfach ein Ort, wo man sich rundum wohl und glücklich fühlt. Ich weiß schon jetzt, ich muss und werde wieder kommen. Ich bin nur für 1,5 Tage hier. Aber die genieße ich. Jede Minute hier ist schönstes Sein.
Ich tue das, was man an so einem Ort eben tut. Einfach sein. Bikini an. Pool. Strand. Meer. Trinke „Coconut Cooler“, einen in der Kokosnuss gemixten Cocktail mit frischem Ananassaft, Kokossaft und Rum. Und der ist verdammt lecker. Dann trinke ich „Watermelon Gin Fizz“, frisch pürierte Wassermelone mit Gin. Und ich kann mich nicht entscheiden, welcher der beiden Drinks nun leckerer ist. Ich muss also sehr viele davon trinken, um eine adäquate und fundierte Entscheidung treffen zu können.
Ich genieße den Sonnenuntergang, esse barfuß am Strand in dem kleinen Ressort-Restaurant zu Abend, quatsche mit dem österreichischen Manager des Ressorts, der seit 10 Jahren auf der Insel lebt und keinen Grund sieht, diese jemals wieder verlassen zu wollen. Wo er Recht hat, hat er Recht. Er führt sein Team mit der Devise, dass die Angestellten einen erfüllten und gut bezahlten Job haben. Dass sie sich gewertschätzt fühlen und jeder nach seinen Stärken seinen Beitrag zur besonderen Atmosphäre leisten darf. Denn nur glückliche Angestellte können für glückliche Gäste sorgen. Und das spürt man.
Auch nachts eine so besondere Atmosphäre. Alles ist erleuchtet, die Luft ist warm und feucht, es riecht nach Dschungel und Meer, Tier-Geräusche.
Ich schlafe in einem riesigen Bett mit Moskito-Netz, was nicht nur wunderschön romantisch aussieht, sondern auch von Nöten ist. Denn sobald die Sonne unter geht, ist Mücken-Rambazamba angesagt. Von meinem Bett aus blicke ich über die Baumwipfel aufs Meer. Ich könnte die ganze Zeit schreien vor Happiness. Und ja, ich sage bestimmt hundert mal laut zu mir selbst „Fick die Henne, ist das schön!“
Am frühen Morgen wache ich von lautem Gerumpel auf. Ich habe die Vorhänge zu meinem Schlafzimmer zugezogen, ich sehe nicht, was los ist, wundere mich aber. Ist das der Zimmer-Service? So früh? Und wenn, dann wäre es ein ziemlich eigenartiger Zimmer-Service, der vielleicht zu viel Coconut Cooler in der Nacht getrunken hat, denn ich höre ständig, wie irgendwas runter fällt und hier und da auch zerbricht. Ich bin etwas irritiert. Stehe auf, öffne den Vorhang. Und da sitzt er. Ein kleiner Affe, der sich über den Outdoor-Badezimmer-Tisch hergemacht und allerhand runtergeschmissen hat. Er sitzt am Boden und hat den kleinen Spiegel in der Hand, der neben dem Waschbecken stand. Der Rahmen ist zerbrochen und liegt am Boden, und Mister Monkey hantiert völlig fasziniert mit dem Spiegel in seiner Hand rum. Schaut immer wieder rein, begutachtet sich, freut sich offensichtlich sehr.
Ich wiederum bin völlig fasziniert von dieser Szene, freue mich wie ein Kind, beobachte, halte die Luft an, will meinen Besucher nicht verscheuchen. Wann hat man schon mal die Chance, solch einen morgendlichen Besuch empfangen zu dürfen? Natürlich will ich unbedingt Fotos machen. Ich öffne leise und vorsichtig die Tür, der Affe sieht mich, und ich habe schon Angst, dass er sich erschreckt und wegrennt. Aber er glotzt nur kurz, als würde er „Tach auch!“ sagen, und beschäftigt sich dann weiter mit seinem Schatz, dem Spiegel. Ich quatsche ihn voll: „Ja Hallo, Guten Morgen! Wer bist du denn?“ Ich rede mit einem Affen. Kannste halt auch keinem erzählen. „Ja, du bist ja ein Feiner! Wie schön, dass du mich besuchen kommst! Magst du den Spiegel, ist das was Feines, ja?“ Nochmal: Ich rede in Dutzi-Dutzi-Sprache mit einem Affen. Im Dschungel. Ich mutiere zu Mogli. Hilfe. Und wenn er mir gleich antwortet und irgendwas sagt wie „Hey, was geht ab, und was machst du eigentlich in meinem Haus?“, dann weiß ich, heute abend kein Watermelon-Gin-Fizz mehr für mich.
Der Affe legt den Spiegel beiseite, turnt durch mein Outdoor-Wohnzimmer. Er lässt sich fotografieren, sogar zwei Selfies bekomme ich mit ihm hin. Voll der Profi, der Affe. Dann strullt und kackt er ungeniert und genüsslich in mein Wohnzimmer vor die Couch. Und glotzt mich dabei an, als wollte er sagen: Was ist? Die Insel heißt schließlich Ko-Pi-Pi.
Alles, was irgendwie glänzt, versucht er in seine Griffel zu bekommen. Er schaut sich meine Kaffeetasse an, dann sind meine goldenen FlipFlops dran. Er sitzt vor dem verschlossenen Schlafzimmer, und es ist klar, was er will. Er will da rein. Aber den Gefallen tue ich ihm nicht. Wir beide kommen ganz gut klar miteinander, ich bin allein unterwegs, was ich total genieße, dennoch tut ein bißchen Gesellschaft auch mal ganz gut. Auch wenn sie ziemlich haarig ist und mir ins Wohnzimmer kackt. Nur all zu Nahe darf ich ihm nicht kommen. Dann bleckt er seine Zähne und signalisiert ziemlich eindeutig, dass ich keinen Schritt weiter machen soll. Da brauchste halt auch kein Körpersprache-Seminar zu besuchen, die Botschaft ist klar, auch wenn wir beide nicht dieselbe Sprache sprechen. So einfach ist das mit der interkulturellen Kommunikation. Ich will was aus dem Schlafzimmer holen, aber der Affe sitzt immer noch davor. Er lässt mich nicht rein. Gut, gehe ich eben erst mal duschen.
Als ich aus der Dusche komme, sitzt der Affe auf der Couch. Wie possierlich, denke ich noch. Er schaut mich an, und ich meine, er grinst. Ich will was nettes zu ihm sagen, doch dann sehe ich, wie seine Griffelchen nach meinem iPhone schnappen, was auf dem Couchtisch liegt. „Nein! Nein, nein, nein! Du legst das sofort wieder hier zurück!“, sage ich mit vielleicht ganz leichter Panik in der Stimme und gehe langsam auf ihn zu. Das passiert nicht gerade wirklich, rattert es in meinem Hirn, hier klaut nicht wirklich gerade ein Affe mein iPhone? Doch, tut er. Mister Monkey hat mein Handy fest in seinen Händen und schwingt sich auf den Zaun. Ich überlege fieberhaft, was ich zu Hause mit meinem Hund machen würde, wenn der was im Maul hat, was er nicht haben darf. Normalerweise reicht für den Hund ein Tausch. Ich zeige ihm ein Spielzeug, oder noch besser, was zu fressen, ein Leckerchen in der Hand, sage laut und überzeugend: „Ja schau mal, was ich hier tolles habe“, dann kommt super neugierig Hundi angetrottet, lässt das verbotene Ding in seinem Maul fallen, und alles ist gut. Nun, Affen sind aber nun mal keine treudoofen Hunde, die sich austricksen lassen. Ich halte ihm einen Keks vor die Nase und meine Schuhe. Aber der Affe glotzt nur und macht mir unmissverständlich klar, dass er hier gerade der Boss der Verhandlungssituation ist. Dann turnt er mit meinem Handy in der Hand weiter auf dem Zaun rum, und springt mit einem Satz auf die nächste Palme. Eine von vielen in diesem dicht bewachsenen Dschungel. Wo ist die versteckte Kamera? Hat ein Affe gerade wirklich mein Handy geklaut und verschwindet jetzt damit im Dschungel-Dickicht auf einer thailändischen Insel? Ich denke erst gar nicht daran, dass ich keine Cloud-Daten-Sicherung habe. Alle Fotos, weg. Und wie schade es um die Affen-Selfies wäre! Die Story würde mir ohne Foto-Beweis doch nie einer glauben! Der Affe sitzt immer noch auf der Palme, und daddelt mit dem Handy rum. Er knabbert es an. Okay, jetzt schnell handeln. Ich renne aus meiner Hütte, sehe auf dem Weg zwei Gärtner. „Help“, rufe ich. Sie wissen sofort was Sache ist: „Monkey?“ Ich so: „Yeah. And he has stolen my iPhone. Could you please come and help?“ Sie rennen mit mir zur Hütte, zum Glück sitzt der Affe immer noch auf der Palme und ist nicht auf Nimmer Wiedersehen im Urwald verschwunden. Weitere drei Gärtner kommen angerannt. Ich weiß, ich kann jetzt nichts mehr machen, muss den Jungs vertrauen.
Setze mich auf die Couch, wo eben noch der Affe saß, und muss über das ganze doch ziemlich lachen. Ein Affe hat mein Handy geklaut. Ich fasse es nicht. Dabei war ich so nett zu ihm! Mache mir Kaffee. Freue mich über den blauen Himmel und den Blick aufs Meer. Es ist heiß, und ich liebe es. Im Hintergrund rattert mein Hirn, was alles zu tun wäre, wäre mein iPhone nun wirklich vom Affen unwiederbringbar gekidnappt. Ich spinne den Plan, es wäre schon ein ziemlicher Pain in the Ass. Aus vielen Gründen. Es wäre kein Weltuntergang, aber es wäre Kacke. Apropos, die liegt immer noch vor der Couch. Eine schöne runde kleine Kugel, sieht aus wie ein Chia-Energy-Ball. Auch wenn ich mich schon mal damit abfinde, ab heute ohne global Communication-Tool zu reisen, glaube ich weiter daran, dass die Jungs schon wissen, was zu tun ist. Sie kommen auf mich zu, bitten mich, mich mit einem ihrer Handys selbst anzurufen, damit der Affe beim Klingeln erschreckt und es fallen lässt. „Great idea!“, sage ich begeistert, tippe meine Nummer ein, doch dann fällt mir ein, dass ich im Flugmodus bin. Scheiße. Hab Vertrauen, flüstert mir mein Bauch zu, die kriegen das hin.
Ich springe erst mal in meinen eigenen kleinen Pool. Soll der Affe doch, diese einzigartig einmalige Freude lasse ich mir nicht nehmen. Der Affe scheint schon längst über alle Berge, ich sehe weder ihn noch die Gärtner. Und eigentlich hoffe ich auch mehr, dass sie dem Affen nichts schlimmes antun.
Nach mehr als einer Stunde kommt einer der Gärtner auf mich zugerannt. Und er hat tatsächlich mein iPhone in seiner Hand. Es ist sauber und unversehrt, und es geht, als wäre nie etwas gewesen. Ich kann es kaum glauben. Will wissen, wie sie das geschafft haben, aber er spricht kein Englisch. Ich drücke ihm für´s ganze Affen-iPhone-Team Trinkgeld in die Hand und bedanke mich überschwänglich. Den Rest des Tages muss ich immer wieder kichern und lachen, als ich diese Morning-Action denke. Der Hotelmanager erklärt mir wenig später, dass der Affe tatsächlich immer die Villa Nummer 4, „meine“ Villa, belagert, und sie mittlerweile als seine eigene ansieht. Sie wollen ihn wohl demnächst umsiedeln, ihn ans andere Ende der Insel bringen.
Als ich vom Frühstück zurück komme, sitzt mein behaarter Freund auf der Treppe vor meiner Hütte. Ich bin total erleichtert ihn zu sehen, ich hatte wirklich Angst, dass ihm was passiert, nur um an mein Handy zu kommen. Er schaut mich auch etwas vorwurfsvoll an, als würde er sagen wollen: „Alter, dein Ernst? Was war das bitte schön für eine Aktion heute morgen?!“.
Lesson 10: Monkeys are clever. Und wenn du einen Affen glücklich machen willst, schenke ihm ein iPhone. Das kann man nun interpretieren, wie man möchte.
Am Nachmittag habe ich spontan Lust auf eine kleine Bootstour rund um die Insel. Ich frage an der Rezeption, ob sie ein freies Boot zur Verfügung haben, aber leider klappt das nicht. Es ist Ramadan-Ende, und ihre Kapitäne sind wohl allesamt Muslime, die sich frei genommen haben, um das Fastenbrechen traditionell mit ihren Familien zu feiern. Das hat Prio, da stinkt auch kein Tourist mit Extra-Wünschen gegen an. Aber man sagt mir, das sei kein Problem, ich soll doch einfach einen der vielen Fischer mit ihren kleinen, bunten Holzbooten fragen, die überall im seichten türkisblauen Wasser vor sich hin dümpeln. Gesagt, getan. Ich wate ins Wasser, spreche ein paar der Jungs an, verhandele den Preis, und schon sitze ich an Board. Ist auch viel rustikalter und so much more Adventure, als mit einem seelenlosen Speedboat. Ich werde am Inselrand entlang geschippert, lasse mir den Wind um die Ohren pfeifen, gucke einfach nur. Das Meer, die Boote, die Insel. Einfach schön. Schön, schön, schön. Wir fahren an der Maya-Bay vorbei und steuern das Party-Zentrum von Koh Phi Phi an. Kurzer Zwischenstopp mit Landgang. Hier ist es wie Ballermann. Doof. Ich trinke an der Strandpromenade eine Kokosnuss, und lasse mich dann im Sonnenuntergang wieder zurück schippern. Der Himmel ist kitschig rosa. Fick die Henne, ist das schön. Schon wieder und immer noch. Einfach nur schön.
Als ich zurück komme, werde ich von einem der Rezeptions-Angestellten in Empfang genommen. Man möchte mir dringend raten, meine Abreise am nächsten Tag von Nachmittag auf morgens vor zu verlegen. „Och nö, wieso?“, will ich erst maulen. Aber dann zeigt man mir die Wetter-Aussichten. Es wird ein heftiges Sturmtief erwartet. Die Gefahr, dass ich mit dem Boot nicht mehr nach Phuket zum Flughafen kann, ist groß, die Gefahr, dass mein Flug von Phuket zurück nach Bangkok gecancelt wird oder dieser zumindest ziemlich unangenehm-turbulent, ebenso. Auch wenn ich es mir ziemlich romantisch vorstelle, hier auf Koh Phi Phi im Zeavola fest zu sitzen, call me Henriette Crusoe, leuchtet mir die Vorsichtsmaßnahme ein. Wir buchen alles um. Und tatsächlich, als ich wieder zurück in Bangkok bin, ist es, obwohl früher nachmittag, dunkel wie die Nacht und es regnet aus Kübeln. Bei 30 Grad. Auch interessant. Auf der Facebook-Page vom Zeavola-Ressort sehe ich Sturm-Fotos, die man gerade dort gepostet hat. Okay, fair enough, das war eine gute Entscheidung, schon vorher die Biege zu machen und dem Sturm einen kleinen Schritt voraus zu sein.
Zurück in Bangkok. Noch ein Tag bleibt mir, bevor ich wieder im Flieger zurück sitze. Ich beschließe, auf jeden Fall wenigstens einen der Tempel mal zu besuchen. Kann ja schließlich nicht sein, dass ich voll ins Rotlicht-Milieu abtauche und alles studiere, und dann nicht einen Tempel gesehen habe. Also Rotlicht-Kontrast-Programm und ab zum berühmten Lying Buddha im Wat Pho Tempel. Liegender Buddha. Nicht lügender Buddha wohlgemerkt.
Was auch unbedingt sein muss: Tuk Tuk fahren. Hach, ich bin so clever, wie ich hier die touristischen Must-Haves gekonnt miteinander kombiniere, und lasse mich mit einem Tuk Tuk zum Buddha einmal quer durch die halbe Stadt kutschieren. Der Tuk-Tuk-Fahrer bescheißt mich so offensichtlich mit dem Preis, aber auch das gehört zur Touri-Erfahrung dazu, man wird überall davor gewarnt. Aber mir ist das egal, ich hasse handeln und diskutieren, außerdem sind 300 Baht für eine 30 minütige Fahrt immer noch lächerlich wenig, also für meine Verhältnisse. 6 Euro zahlt man für eine Achterbahnfahrt auf einer deutschen Kirmes, und genau das gleiche bekomme ich hier auch. Eine Achterbahnfahrt. Im Taxi sitzt man ge-airconditioned und leise und abgeschottet von allem. Im Tuk Tuk bekomme ich die volle Dröhnung Bangkok. Und die will ich zum Abschluss auch noch mal. Ja, gebt´s mir dreckig! Ich weiß gar nicht, wo ich überall hin schauen soll. Ich staune, glotze, gucke, beobachte, sauge alles um mich herum auf. Es ist heiß, es ist laut, es ist dreckig, es ist bunt, es ist voll, es ist viel. Ich bin von den vielen Eindrücken, die an mir vorbei rauschen, völlig überfordert, und doch juchze ich innerlich. An den Ampeln jedes mal die 60 Mopeds und Motorräder zu sehen, die als erste in einem Massenstart losknattern. Die Kinder, die einfach so mit vorne oder hinten drauf sitzen, lässig und cool. Mein Fahrer fragt mich, woher ich komme. „Germany“, sage ich. „Ah. Germany! Football Champion!“ sagt er und lacht. Gut, da hat er ja den wohl wichtigsten Fakt von Germany erfasst.
Überall hängen Bilder vom König von Thailand. Ich recherchiere kurz. Der König von Thailand genießt den größtmöglichen Respekt, auch wenn er schon nicht mehr unter den Lebenden weilt. Er wird unermesslich verehrt. Wer den König beleidigt oder unflätige Bemerkungen oder Gesten vor seinem Bild macht, wandert augenblicklich ins Gefängnis. Thailand tut sich ziemlich schwer mit seinem Sohn, der, ach guck, eine zeitlang undercover in Deutschland gelebt und es dort hat krachen lassen. Und es sogar wohl immer noch tut. Er ist eine echte Skandal-Nudel, glaubt man den Medien. Ich kann den Königs-Sohn verstehen. Er wäre auch nicht der erste Sohn, der so gar keinen Bock darauf hat, in die Fußstapfen eines omniperfekten Über-Vaters zu treten.
Lesson 11: König von Thailand sein, wenn du nicht König von Thailand sein willst, ist doof.
Das Wat Pho ist imposant, ebenso wie der chillende XXL-Buddha. Es ist Samstag, und zusammen mit einer Touristen-Masse quetsche ich mich einmal um den berühmten Goldjungen herum. Apropos Buddha. Überall in Bangkok hängen riesige Plakate auf denen steht: „Buddha is not for decoration. It´s wrong to use symbols of Buddha for decoration or tattoo. It means NO RESPECT.“ Hält sich halt nur niemand dran. In jedem Geschäft, keine zehn Meter vom Tempel beginnend, gibt es den Grinsejungen in allen Varianten. Überall.
Auf dem Gelände des Wat Phos befindet sich auch die berühmte Thai Traditional Medical and Massage School. Dort kann man sich einfach, wie bei der Post, eine Nummer ziehen, und wird massiert. Lange keine Massage mehr gehabt, denke ich mir, also erst gestern, haha, und schon sitze ich im Stuhl und lasse mir ein letztes mal die Füße durchkneten. Zusammen mit 50 anderen Menschen, die im selben Raum gestretcht, gedehnt und massiert werden. Es geht zu wie im Taubenschlag.
Auf dem Rückweg lasse ich mich vom Tuk Tuk zum Siam Paragon Center fahren. Es ist Asiens – ich betone: ASIENS (!) – größtes Shoppingcenter. Es gibt dort nichts, was es nicht gibt. Eine riesige Foodhall, alle Brands dieser Welt aller Kategorien, von normal bis Mega-Luxus. Chanel und Bentleys zwischen Stoff-Grabbelmarkt. Ich bin völlig bekloppt, mich an einem Samstag genau dorthin zu begeben, aber ich habe meinem Sohn versprochen, ihm etwas mitzubringen. Schon als ich den riesigen Komplex betrete, bin ich komplett überfordert. Menschenmassen, Reizüberflutung, Lärm. Ich habe bereits vier Stunden Bangkok-Trubel hinter mir, mein zentrales Nervensystem kippt gleich hinten über vor Reizüberflutung und sehnt sich nur nach Ruhe. Ich steuere gezielt einen Informations-Schalter an, frage nach dem Toy-Shop, setze mir mental Scheuklappen auf und fahre über fünf Stockwerke zum Zielort.
Und dann verliere ich mich in einem asiatischen XXL-Mega-Spielwarengeschäft. Die kleine Henriette möchte hier bitte nie mehr abgeholt werden. Es gibt ALLES. Und das ALLES gibt es in ALLEN Varianten. Meterlange Barbie-Regale, meterlange My-little-Pony-Ansammlungen. Meterlang Pokemons. Meterlang Plüschtiere. Meterlang Hello Kitty. Ich will hier einziehen! Hier ist alles versammelt, für das ich als Kind mein letztes Hemd hergegeben hätte. Ich war DDR-Kind. Wir hatten ja nüschte. Haha. Naja, zumindest nicht diese Art Spielzeug. Es ist mein Kindheitstraum, durch den ich gerade laufe. Ich verbringe zwei Stunden in dem Laden. Ich muss mir einfach alles anschauen, anfassen, ausprobieren. Es ist einfach der absolute Wahnsinn. Auch mein Sohn würde hier ausrasten. Meterlang Powerranger-Dinger, Transformer, Beyblades. Alles, was er liebt, und alles, was es in dieser Vielfalt und in diesem Umfang in Deutschland nicht gibt. Ich stehe vor den 50 Powerranger-XXL-Mega-Zords, und muss eine Entscheidung treffen. Verdammt. Ich packe auch noch einen Multipack Beyblades ein, ein Pokémon-Lexikon, einen Plüsch-Pikachu und einen Plüsch-Boo mit Regenbogenmäntelchen (Boo, vermarktet als der süßeste der Hund der Welt, den es hier in zig Plüsch-Varianten gibt). Ich gebe zu, diesen Boo packe ich für mich ein. Ich kann einfach nicht widerstehen. Und ich muss eine zusätzliche Tasche kaufen, weil das alles nicht in meinen Koffer passt.
Als das erledigt ist, flüchte ich so schnell wie möglich in die hermetisch abgeriegelte Ruhe meines Hotels und gönne mir dort zum Abschluss ein Facial im Spa. Den Bangkok-Smog im Gesicht, das durch Hitze, Schwüle und Reisestress gerade seine zweite Pubertät durchmacht, wegschrubben lassen.
Als ich im Flieger zurück sitze, kann ich nicht fassen, was ich den letzten sechs Tagen alles erlebt habe. Sechs (!) Tage. Genau genommen nicht mal eine ganze Woche. Wie uns zu Hause im Alltag so eine Woche durch die Finger gleitet, zack bumm, schon wieder eine Woche rum, und dann stellen wir uns die Frage: Ähm, war was? Und viel zu oft haben wir keine Antwort darauf. Weil es war nichts. Nur Alltag. Alltag ist nicht schlimm. Aber wir müssen lernen, den wieder wahrzunehmen. Zu gestalten.
Ich frage mich im Flieger die selbe Frage: War was? Verdammte Axt, und wie! So unglaublich viel. Dass ich noch vor fünf Tagen am Abend im 60. Stock in der Moonbar diniert habe, kommt mir vor, als wäre es vor drei Wochen gewesen. Überhaupt erscheinen mir die ganzen sechs Tage wie drei Wochen.
Natürlich müssen wir nicht um die halbe Welt fliegen, um ein bisschen Abenteuer zu erleben. Wir können sie auch zu Hause suchen. Es sollte nie einen Grund geben, etwas nicht zu tun. Wir müssen nicht immer ein ewig geplantes und durchorganisiertes Sabbatical machen, monatelang aussteigen, wenn wir einfach mal einen anderen Lebenspullover drüber ziehen wollen. Zwei Tage woanders hin. Fünf Tage. Das reicht schon. Und birgt so viel in sich.
Und genau das ist vielleicht das Geheimnis. Packen wir nicht mehr Tage in unser Leben. Sondern mehr Leben in unsere Tage. Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, wenn ich wieder unachtsam durch meinen Alltag rutsche. Einmal Abenteuer hin und zurück. Ich will mehr davon. Noch viel, viel mehr. Und: Dinge zu tun, die man eigentlich so gar nicht auf dem Schirm hatte, ist das größte Abenteuer von allen.